Kommentar
Von Steuern, Ideologen und Steueroptimierern
Mit diesen Fragen muss sich das neue Parlament befassen. Weil Fiskalpolitik immer mit Interessen, mit alten Dogmen und längst ausgebrannten Ideologien besetzt ist, sollte man allerdings die Hoffnung auf eine rationale Auseinandersetzung um das Steuersystem nicht zu hoch hängen!
Mehrwertsteuer oder Lohnprozente?
Da ist der alte Streit, ob die Sozialwerke in Zukunft mit Lohnprozenten oder mit der Mehrwertsteuer finanziert werden sollen. Die AHV zum Beispiel braucht im Jahrzehnt 2010 bis 2020 wegen der Alterung der Bevölkerung vermutlich Mehreinnahmen in der Grössenordnung eines Mehrwertsteuerprozents, weil das Rentenalter 67 aus plebiszitären Gründen tabu bleiben wird.
Lohnprozent-Abgaben sind seit dem «Arbeitsrappen» der Dreissiger Jahre zur Finanzierung der Lohnausfallentschädigung für Wehrmänner und seit Max Webers Finanzierungsidee für die AHV die tragende Säule der Sozialversicherungsfinanzierung. Sie werden es wohl auch weiterhin bleiben. Doch Lohnprozente verteuern den Faktor Arbeit, was angesichts der globalen Konkurrenz durch die asiatischen Staaten, die keine lohnprozentfinanzierte Alterssicherung kennen, zu einem wachsenden Wettbewerbsnachteil führt. Lohnprozente sind auch verteilungspolitisch problematisch, weil sie nur die Erwerbsbevölkerung belasten, aber die Rentner und Kapitaleinkommensbezüger befreit.
Die Mehrwertsteuer hat als Alternative bei der traditionellen Linken und in der Romandie einen schlechten Ruf. In der Westschweiz heisst TVA abschätzig auch: «Tout Va Augmenter» – alles wird aufschlagen – und die Politiker kompensieren ihre Inkompetenz mit Polemik gegen die Mehrwertsteuer. Das kommt immer gut an.
Mehrwertsteuer ist nicht asozial
Zwar ist die Mehrwertsteuer als Konsumsteuer gewiss weniger sozial ausgestaltet als progressive direkte Steuern, aber sie ist auch nicht asozial: Mieten, Krankenversicherungsprämien, Bildungsleistungen und generell Versicherungen sind befreit. Nahrungsmittel, Medikamente, Bücher, Kulturgüter sind mit einem Steuersatz von einem Drittel des Normalsatzes, heute mit 2,5 Prozent belegt. Bei Haushalten mit tiefen Einkommen betragen die Mieten und die Krankenversicherungsprämien schon fast die Hälfte der Ausgaben – und die sind von der Mehrwertsteuer befreit. Auch die (häufig wohlhabenden) Rentner und Kapitaleinkommensbezüger zahlen im Ausmass ihres Konsums gerechterweise an die Mehrwertsteuer.
Die Mehrwertsteuer ist mit der elektronischen Finanzbuchhaltung einfach zu erfassen und abzurechnen, doch über zwanzig Ausnahmebereiche – die meisten durch Interesseneinflüsse ins Gesetz gebracht – machen die Abgrenzung zwischen Mehrwertsteuer-belasteten und -befreiten Konsumbereichen zu einem administrativen Spiessrutenlaufen. Deshalb sollte man die Ausnahmebereiche reduzieren und nicht – wie dies jetzt die Wirte mit einer Volksinitiative verlangen – noch ausweiten. Auch der reduzierte Sondersatz auf Beherberungsleistungen (sprich: Reduktion für Hotelgäste) lässt sich nur durch die Lobbytätigkeit der Krückenbranche Tourismus erklären. Eine Reduktion allerdings auf einen einzigen Steuersatz, also eine Anhebung des Lebensmittel-Steuersatzes, wäre ungerecht und fällt aus abstimmungspolitischen Gründen ausser Betracht. Inzwischen haben dies mit Ausnahme der Schreibtischtäter in der EconomieSuisse alle erkannt.
Bank- und Versicherungsdienstleistungen sind mit Ausnahme der klassischen Vermögensverwaltung von der Mehrwertsteuer befreit. Als eine Art Kompensation gilt die Stempelabgabe. Es ist geradezu ungehörig und widerspricht dem damaligen Mehrwertsteuerkompromiss, dass jetzt die Finanzbranche – ausgerechnet sie, die der Wirtschaft am meisten Risiken aufbürdet – die Stempelsteuer abschaffen will.
Energiesteuer oder Mehrwertsteuer?
Eine Volksinitiative der Grün-Liberalen Partei GLP fordert eine vollständige Aufhebung der Mehrwertsteuer (mit einem Ertrag von rund 21 Milliarden Franken) und an ihrer Stelle eine ertragsäquivalente Energiesteuer auf allen nicht erneuerbaren Energien, was mehr als eine Preisverdoppelung aller fossilen Energien und des Atomstroms erfordern würde. Eine solche Totalumkrempelung der indirekten Steuern ist eine abwegige Idee: Sie ist nicht EU-kompatibel, sie verzerrt den Wettbewerb der Branchen und bei Mieterhaushalten würde sie keine Sparwirkung und dafür extreme Ungerechtigkeiten bewirken. Denn wenn das Heizöl verteuert wird, werden diese Mehrkosten über die Nebenkostenabrechung auf die Mieterschaft überwälzt, doch die energetische Sanierung des Gebäudes müsste der Hauseigentümer vornehmen und finanzieren. Durch blosse Energiebesteuerung hat er keinen Anreiz zu Investitionen.
Eine wirksamere Art, um mit fiskalischen Mitteln die Energieeffizienz und Energiesparinvestitionen im umbauten Raum zu fördern, besteht darin, dass mittels Zweckbindung des Steuerertrags gleichzeitig die Investitionen des Hauseigentümers gefördert werden. Die Zweckbindung zugunsten solcher Investitionen ist bei Mietliegenschaften drei- bis fünfmal energiesparwirksamer als die die blosse Energieverteuerung.
Steuer auf Finanztransaktionen
Das interessanteste neue Steuerprojekt wird im internationalen Umfeld diskutiert und sollte beachtet werden: Es ist die Finanztransaktionssteuer oder Tobin-Tax. Die vom ehemaligen Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin entwickelte Steueridee belegt alle grenzüberschreitenden Finanztransaktionen und Devisengeschäfte mit einer minimalen Umsatzsteuer in der Grössenordnung eines oder einiger weniger Promille. Wer als Exporteur oder Importeur handelsinduzierte Transaktionen (Warenzahlungen) tätigt, ist durch die tiefe Umsatzbesteuerung kaum betroffen. Wer dagegen zu spekulativen Zwecken und mit Hebelwirkung kurzfristige Transaktionen und Devisengeschäfte (welche ja mit kleinsten Arbitragemargen und grossen Transaktionsvolumina operieren) wird durch die Ministeuer abgeschreckt. Devisenspekulanten, Sekundentraders und Daytraders sowie alle Spekulation mit Hebelprodukten werden so ausgeschaltet, die spekulativen Kursbewegungen werden behindert.
Die Tobinsteuer ist hieb und stichfest durchdacht, doch hat sie nur dann eine Wirkung, wenn alle Finanzplätze der Welt mitmachen. Deutschland, Frankreich und die meisten EU-Staaten stehen heute hinter diesem Projekt, doch Wallstreet und die Londoner City sind gegen die Tobin-Steuer. Und deren Regierungen haben nicht die Kraft, gegen die Bankenoligarchie so etwas zu realisieren.
Erbschaftsteuer
Eine weitere Volksinitiative einer Sammelkoalition (u.a. von SP, EVP und Verbänden) fordert eine Besteuerung aller Erbschaften mit einem einheitlichen Steuersatz von 20 Prozent auf jenen geerbten Vermögen, die zwei Millionen Franken übersteigen, wobei die Erträge zweckgebunden in die AHV fliessen sollen (oder ein Drittel an die Kantone). Erbschaften von Realvermögen, zum Beispiel Geschäftsvermögen, sollen dabei nicht zum Zeitpunkt des Erbgangs, sondern erst nach der Veräusserung des geschäftlichen Erbvermögens nachwirkend besteuert werden. Von allen Steuerarten ist die Erbschaftsbesteuerung auch nach Ansicht der Finanzwissenschaft die gerechteste, weil sie Vermögen besteuert, für die zuvor keine Leistung erbracht worden ist, und weil sie die Leistungsbereitschaft am wenigsten einschränkt.
Vereinfachte Steuern erwünscht
Ständig im politischen Raum steht auch das Postulat einer radikalen Steuervereinfachung, einer Art «Easy Tax». Der Zürcher Freisinn, in dem die Initianten für eine radikale Vereinfachung angesiedelt sind, hat inzwischen kalte Füsse bekommen. Die Armee der Berater, Steueroptimierer und Steuerschlupfloch-Mechaniker, welche aus der Kompliziertheit des Steuersystems persönlichen Nutzen ziehen, hat das Projekt in aller Stille versenken lassen. Vielleicht wird es von anderer Seite wieder belebt werden. Denn komplizierte und differenzierte Steuergesetze bringen nicht mehr Gerechtigkeit, sondern meist mehr Schlupflöcher für die Schlaumeier.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der UnternehmerZeitung UZ.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Dass ich heute schon wieder auf einen Kommentar von dir stoße, lieber Peter, freut mich. Ich kann dir hier nur zustimmen.