Glosse

Sprachlust: Ist richtig wichtig, so hilft ein Buch

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Auch wenn man Rechtschreibung und Grammatik nicht mag, empfiehlt es sich zuweilen, darauf zu achten. Hilfsmittel bieten sich an.

«Richtig oder falsch?» Wenn ich «Yogurt» auf den Einkaufszettel schreibe, ist es mir egal, dass der Duden das Wort nur mit J kennt; das h wegzulassen, ist erlaubt, wenn auch nicht empfohlen. Und wenn ich jemandem ein SMS oder Mail schreibe, nehme ich mir nicht die Mühe, das Wort nachzuschlagen oder auch nur auf die Fehlerwarnung zu achten, die beim Tippen aufleuchten könnte. Bei einem Rezept, wo auch sonst alles stimmen muss, passe ich vielleicht schon besser auf, vor allem wenn ich es weitergeben will. Und ist das Joghurt für die Zeitung bestimmt, so will ich keine Besserwisser provozieren.
Falls nun doch welche kommen und statt «das» lieber «der Joghurt» lesen: Gemäss Duden kann das Wort in der Schweiz auch sächlich sein, in Österreich gar sächlich oder weiblich. Recht oft ist es so, dass es mehr als eine Variante gibt und dass sich blamiert, wer auf einer einzigen beharrt. Sogar vermeintlich klassische Fehler sind manchmal gar keine: «Sie lehrt den Kindern das Alphabet» zum Beispiel. Da will man gleich belehren: «Es heisst ‹lehrt die Kinder›!» Zu meiner eigenen Überraschung steht aber die Dativ-Variante «jemandem etwas lehren» seit Jahr und Tag im Duden, in jüngeren Auflagen mit dem Zusatz «seltener». In einem Bewerbungsschreiben, vor allem als Lehrer, sollte man sie freilich nicht verwenden, und schon gar nicht: «Ich lerne den Kindern das Alphabet.»
Scheinbar: Duden genügt
Ungeachtet aller Klagen über nachlassende Schul- und Schreibdisziplin: Es gibt wohl für alle Leute Gelegenheiten, bei denen sie es lieber richtig als falsch haben, sei es beim Lesen oder erst recht beim eigenen Schreiben – eben etwa bei Bewerbungen. Ist man beim Buchstabieren nicht sattelfest, so hilft das Korrekturprogramm oder ein Blick in den Duden. Beides kann auch für einfachere Grammatikfragen nützlich sein, wie bei «lehren».
Sobald es aber komplizierter wird oder Bedeutungsnuancen ins Spiel kommen, wird es schwieriger. Was «scheinbar» bedeutet, erklärt der Duden gerade noch («nur dem Scheine nach»). Dass aber «anscheinend» nicht genau dasselbe bedeutet, erfährt man im Band «Rechtschreibung» nicht; da muss ein Spezialband oder die Duden-Website her: «dem Augenschein/Anschein nach», ohne «nur» – also trügt hier der Schein nicht immer.
Grenz- und Zweifelsfälle
Für Zweifelsfälle, die über die blosse Rechtschreibung hinausgehen, ist soeben im NZZ-Verlag ein handlicher Ratgeber erschienen: «Richtig oder falsch?». Er beruht auf Anfragen an die Sprachauskunft, die der Schweizerische Verein für die deutsche Sprache (SVDS) unterhält. Antworten erscheinen laufend in der Rubrik «Briefkasten» der SVDS-Zeitschrift «Sprachspiegel»; manche Fragen tauchen im Lauf der Jahre immer wieder auf. Vereinspräsident Johannes Wyss hat für das Buch eine «Hitliste sprachlicher Zweifelsfälle» zusammengestellt, systematisch geordnet und mit fachkundigen Erläuterungen versehen. Glossar und Register erleichtern die Suche nach Antworten; klare Schreibweise und erheiternde Karikaturen machen auch das Stöbern zum Spass.
Den Unterschied zwischen «scheinbar» und «anscheinend» macht das Buch unmissverständlich klar. Dass «den Kindern etwas lehren» nicht einfach falsch ist, räumt es ein. Dass die Sprache nicht immer ganz logisch ist, findet ebenfalls seinen Niederschlag. So sei der Ausdruck «sitzende Tätigkeit» heute «nicht mehr zu beanstanden», obwohl die Tätigkeit nicht selber sitzen kann. Dagegen verwirft der Autor die Formulierung «eine Frage stellt sich». Das kann sie ja auch nicht selber tun, also müsse man etwa sagen: «Man muss sich folgende Frage stellen.» Im Online-Duden dagegen steht in einem Beispielsatz: «Es stellt sich die Frage, ob …». Dass dies als korrekt gilt, liegt nicht bloss am Platzhalter «es»: «Die Frage stellt sich, ob …» ginge geradeso gut. Zweifelsfälle sind eben oft Grenzfälle, und wie jeder gute Ratgeber muss «Richtig oder falsch?» nicht immer sklavisch befolgt werden: Auch dass es zu eigenem Nachdenken anregt, ist eine Stärke des Buchs.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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3 Meinungen

  • am 21.02.2016 um 15:41 Uhr
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    Ich finde es nicht ganz korrekt, von dem Wort scheinbar zu sagen, etwas sei nur dem (trügerischen) Schein nach so. Wie ist es denn mit lesbar, machbar, essbar, haltbar und vielen anderen Wörtern dieser Art, die vermutlich meistens die Möglichkeit zu etwas bezeichnen. So ist doch scheinbar auch, dass etwas die Fähigkeit hat, zu (er)scheinen. Und was bedeutet das für einen Betrachter, etwas nur dem trügerischen Schein nach erkannt zu haben; wie wäre die Echtheit seines Trügens überhaupt zu bemerken, wo er nur trügen kann? Etwas, was die Fähigkeit hat, Licht zu empfangen und in diesem Lichte zu erscheinen, also scheinbar zu sein, bis das Licht es trifft, lässt einen Betrachter daraufhin «nur» seinen Schein und nicht sein erfragbares Wesen ersehen. Irrt der Betrachter sich in den Antworten, so mag der Schein trügerisch gewesen sein für die Gedanken, was für den Schein nicht heissen muss, dass er trügte. Damit bedeutet der trügerische Schein für mich, dass ich mich geirrt habe, als ich dem Scheine nachsah und nicht umgekehrt.

  • am 22.02.2016 um 12:20 Uhr
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    Danke, Herr Goldstein, dass Sie geantwortet haben. Was Sie schreiben, kann ich nachvollziehen. Wenn ich jedoch die Erklärung im Internet seh, die Duden dazu abgibt, kommen mir Zweifel, wie so etwas zu deuten ist. Die Erklärung lautet denn so:

    scheinbar
    Adjektiv –a. aufgrund einer Täuschung wirklich, als …b. dem Anschein nach gegeben, vorhanden…

    (http://www.duden.de/suchen/dudenonline/scheinbar)

    Es ist mir nicht möglich, diesen Satz verständlich zu lesen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erklärung für scheinbar die Fügung ‹dem Anschein nach gegeben› verwendet, was für mich wieder gleichbedeutend ist mit ‹anscheinend›, was doch zu unterscheiden war. Daraus kann ich nicht schlau werden. Möglicherweise liegt das an dem «…b.», das mir ein undeutbares Zeichen bleibt und kaum in eine wohlgeformte Erklärung passt.

  • am 23.02.2016 um 11:25 Uhr
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    Das führt aber bei Duden im Internet doch auf den Umstand, dass in ‹er ist scheinbar krank› nicht dasselbe ’scheinbar› steckt wie in ‹er sucht scheinbar Streit›, es sei denn, man zieht die Veränderungen im Gebrauch der Umgangssprache in Betracht, wie Sie es am Schluss geäussert haben.

    Bei der grammatischen Deutung der Wortart von ‹anscheinend› als Adverb stört mich etwas der Umstand, dass Partizipien meinem Eindruck nach eher zu den Adjektiven gezählt werden. Es scheint mir, man schwankt hier zwischen dem Ausdruck ‹adverbieller Gebrauch des Adjektivs› und ‹Adverb›. Bei der Phrasenbezeichnung rückt das Partizip deutlich in die Nähe der Adjektivphrase. Es gibt hier Wandlungen in der Ausdrucksweise, welche eine klare Beweisführung schwierig machen würden. Ob eine Sprache dafür geeignet ist, weiss ich nicht. Da halt ich es lieber mit der Geometrie.

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