Fussball & Gewalt machen «Männer»
Am Mittwochabend, 25. Mai 2016, gehe ich durchs Zürcher Kasernenareal Richtung Hauptbahnhof statt am Volkshaus vorbei zum Stauffacher. Wie meistens. Und weil ich in der von mir geleiteten Gruppe – in der sich Männer treffen, die mit ihresgleichen nicht nur über Arbeit & Fussball reden wollen – gewarnt worden bin. Wenn der FCZ absteige, gebe es eine Demo auf dem Helvetiaplatz, wo sie, wenn, normalerweise politische Parolen rufen. Ich habe Angst vor der anderen Art von Männergruppen. Ihren Sprüchen. Ihrem Geschrei. Ihrem Gegröle. Ich radle schon dem Greifensee entgegen, als niedergeschlagene FCZ-Fans die Spielergarderoben zu stürmen versuchen und Trainer Uli Forte sowie SRF-Salzgeber aus dem Stadioninnern flüchten. Fussball!
Ich war nicht immer ein Fussballmuffel. Während der Schulzeit rannte ich regelmässig diesem Ball nach – der so viel Begeisterung, Wut und Finanztransaktionen auslöst –, und einige, die mit mir rannten, waren später richtig erfolgreich. Als Nationalliga-A-Spieler (heute Super League), einer als Nationaltrainer. Das einzige Mal, als ich einen «grossen» Fussballmatch besuchte, einen des FC Zürichs übrigens, und das ist vieleviele Jahre her, liefen kurz vor Matchende die Fans um mich herum auf das Spielfeld. In meiner Erinnerung sind es ein paar Hundert gewesen, die mich mitrissen, so dass auch ich plötzlich auf dem Rasen stand. Ich habe danach nie mehr eine Schweizer Fussballtribüne betreten. Im Münchner Olympiastadion – damals von berittener Polizei bewacht – war ich nur wegen einer Radioreportage über Streetworker.
«Das gehört zum Fussball»
Ich bin bereits zu Hause, als Uli Forte in aufgeregter Stunde den Satz sagt, der mir, für einen Fussballtrainer, als bemerkenswert & ehrlich in Erinnerung bleibt: «Wir müssen das akzeptieren. Das gehört zum Fussball.» Damit meint er, laut Tages-Anzeiger vom 26. Mai, die «Explosion» nach dem Match, der den FCZ in die Challenge League stösst. Für diese Aussage bekommt er Hiebe. Nicht nur vom Tagi, der «Fortes Aussetzer» titelt und ihm vorwirft, er geissle «diese Chaoten nicht». In einem ersten Entwurf dieses Texts notiere ich, Forte werde sich, vermutlich, bald entschuldigen & erklären, er sei falsch verstanden worden. Nicht einmal 24 Stunden nach der nächtlichen Pressekonferenz postet er auf Facebook: «Mein Verständnis gegenüber den emotionalen Ausbrüchen und Enttäuschungen der Fans galt lediglich dem Auspfeifen und höchstens dem Werfen von Gegenständen aufs leere Spielfeld. Keinesfalls akzeptiere ich jegliche Form von Gewalt und Sachbeschädigung… Ich entschuldige mich für das Missverständnis.»
Der Satz «Das gehört zum Fussball» – ein Missverständnis, ein Aussetzer? Oder eine «Fehlleistung», die in der Stunde der Enttäuschung, Verzweiflung und Gewalt offenbart, was gerne verleugnet wird? Gibt es wirklich eine klare Trennlinie zwischen dem Fussball, seinen «anständigen» FreundInnen und den paar «Chaoten», die ihn kaputtmachen? Oder ist die Gewalt im Spiel & Geschäft Fussball angelegt? Nur, bei den Frauen ist es nicht zu solchen «Ausschreitungen» gekommen. Aber die FCZ-Spielerinnen haben an diesem Mittwochabend ja auch den 20. Titel der Vereinsgeschichte gewonnen. Und selbst wenn es Frauen gibt, die Fussball spielen; obwohl auch Frauen zum Zauberstab der Gewalt greifen – Fussball & Gewalt machen keine «Frauen», sondern «Männer».
Fussball macht «Männer»
Fussballstadien sind Orte, an denen Männer zu «Männern» werden. Der französische Starspieler Zinedine Zidane muss in seinem letzten WM-Final 2006 in Berlin den Platz vorzeitig verlassen, nachdem er den Italiener Marco Materazzi (wegen einer Beleidigung) mit einer Kopfattacke zu Boden geworfen hat. Der Mix aus Fussball, Gewalt und tragischem Abgang macht ihn endgültig zum «Mann» & Helden, der mit genau diesem Kopfstoss mehrmals in Bronze gegossen wird.
«Fussball ist ein Männersport» (1), schreibt die türkische Zeitung Foto-Mac am Morgen der WM-Barrage vom 16. November 2005 in Istanbul, die am Abend zum «Skandalspiel» wird und den Eidgenossen zum WM-Ticket verhilft. Unter dem gendernden Titel eine Fotomontage, die vier Schweizer Spieler als Transvestiten maskiert und der «Weiblichkeit» preisgibt – klassische (Kriegs-)Strategie, den männlichen Gegner zu demütigen. Nicht nur in der Türkei wird der Fussballplatz als männliche Sphäre definiert, selbst der «Hausmann der Nation» Bänz Friedli macht in seiner Kolumne «Meister Proper und Oli Kahn» klar, wo die Grenze zwischen «Frau» und «Mann» verläuft: «… mir fehlt die Erfahrung mit Mensbeschwerden, sie interessiert sich kaum für Milan gegen Bayern …» (2) Nicht nur, dass er den (Haus-)Frauen fussballerisches Desinteresse unterstellt und damit zur (Re-)Konstruktion traditioneller Männlichkeiten & Weiblichkeiten beiträgt – mit der direkten Verknüpfung von Menstruation & Fussballmatch suggeriert er, Fussball liege den Männern ebenso sehr im Blut wie Frauen die Menstruation.
Die Sprache ist die Theorie, die Gewalt die Praxis
Der sowohl dem preussischen General von Clausewitz als auch dem Schriftsteller George Orwell zugeschriebene Satz, Fussball sei die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, zieht eine direkte Linie zwischen Fussball, Sport als vormilitärischer Leibesertüchtigung, Armee und Krieg. Die Sprache des Sportjournalismus erinnert denn auch häufig an Frontberichte, da ist von Vernichtung des Gegners die Rede, wird die Mannschaft «nach vorne gepeitscht, um den Gegner auszuschalten, vom Platz zu fegen, wegzubomben, kampfunfähig zu machen und [ihm] letztendlich den Todesstoss zu versetzen» (3). Die Spieler «sind Leitwölfe, hart und kaltblütig, die sich den Arsch aufreissen, wenn nötig mit der Brechstange, um dann mit Granaten um jeden Preis zu siegen». Der damalige Bundestrainer Michael Skibbe begrüsst den Hertha-Spieler Arne Friedrich in der deutschen Nationalmannschaft im Oktober 2002 wie einen Soldaten: «Es ist das erste Mal, dass er in einem Pflichtspiel für Deutschland an die Waffen muss» (4). Diese Sprache ist die Theorie, die Gewalt in und vor dem Stadion die Praxis.
Gewalt macht «Männer»
Der belgische Schriftsteller & Regisseur Jean-Philippe Toussaint stilisiert den Kopfstoss Zidanes, der schon eher Kopfschlag zu nennen wäre, zu einer «Geste», die «jenseits der moralischen Kategorien von Gut und Böse angesiedelt» (5) sei. In seiner Ode «Zidanes Melancholie» wird deutlich, dass die «alles entscheidende, brutale Geste» der Unfähigkeit des «Mannes» zur Trauer entspringt, weist er doch auf «die Verbitterung des Fussballers» hin, «der das letzte Spiel seiner Karriere bestreitet und sich nicht entschliessen kann aufzuhören». Zidane ist in der Verlängerung dieses WM-Finals mit seinen eigenen Grenzen konfrontiert, es gelingt ihm nicht, Frankreich noch einmal zum Weltmeister zu schiessen: «Sein wunderschöner Kopfball, den Buffon wenige Augenblicke zuvor mit einer glanzvollen Parade abgewehrt hatte, wird ihm endgültig die Augen über die Unabwendbarkeit seiner Ohnmacht öffnen.» Zidane gibt dem «Verlangen, mit allem so schnell wie möglich Schluss zu machen …» bei der nächsten Gelegenheit & Provokation nach und rettet sich so vor der Niederlage, vor einem möglicherweise verschossenen Penalty. Noch einmal «die Gestalt Zidanes, aufrecht in der Nacht in seinem weissen Trikot in der Mitte des Feldes», dann ist Schluss. Der vorzeitige Abgang macht Zidane unsterblicher als das gewöhnliche Ende des Spiels, selbst wenn es doch noch siegreich ausgegangen wäre, denn, so Toussaint, «den Weltmeisterpokal zu schwenken bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als den eigenen Tod zu akzeptieren, aber den eigenen Abgang zu vermasseln lässt alle Perspektiven offen, die Zukunft im Dunkeln und dadurch lebendig».
Die Reaktionen nach dem Match vom letzten Mittwoch gleichen jener Zidanes – es ist die Gewalt, die aus der Unfähigkeit zur Trauer kommt. Bei Zidane ist es die unterdrückte Trauer ob seines letzten WM-Finals, der erst noch verloren zu gehen droht, bei den FCZ-Fans die Verzweiflung ob dem Unvorstellbaren, das Realität wird – dem Abstieg. Clubs & Medien machen den Fans in solchen Situationen vor, wie Wut & Beschuldigung an die Stelle der Trauer tritt. In der Stunde der Niederlage erklingen sie immer wieder – die «Schlachtrufe». Da werden Köpfe gefordert und Verantwortliche in die Wüste geschickt.
Gewalt ist der Versuch, die Welt in meine Welt zu verwandeln
Gewalt gegen andere, aber auch gegen sich selbst, ist der Versuch, Angst & Ohnmacht zu beenden, um die Kontrolle wieder herzustellen. Gerade das «Konzept Mann» wird durch Angst & Ohnmacht im Kern bedroht. Es gehört zu den schmerzlichsten & kränkendsten Lebenserfahrungen, dass wir immer wieder mit unseren Grenzen konfrontiert werden, zur Kenntnis nehmen müssen, dass unser Einfluss im Privaten & Öffentlichen beschränkt ist, dass wir die Liebe anderer Menschen nicht herstellen können, dass wir kaum etwas gegen Elend & Gewalt in der Welt zu tun vermögen, nur wenig gegen unsere und die Not unserer Liebsten, nichts gegen eine verlorene Meisterschaft «unseres Clubs».
In dieser Beschränktheit wächst der (männliche) Wunsch, zaubern zu können, Grenzen zu überschreiten, Macht über die Wirklichkeit, letztlich sogar über Leben & Tod zu gewinnen, vor nichts & niemandem mehr Angst haben zu müssen. Der Zauberstaub der Gewalt scheint demjenigen (oder derjenigen), der (oder die) ihn hat, Macht über die Welt zu verleihen. Die Berührung der Welt mit diesem Stab verwandelt sie in meine Welt. «Gewalt wird gesucht in der Hoffnung auf Wandel …» (6). So der Psychologe Allan Guggenbühl. Das heisst in der Hoffnung, die Niederlage in einen Sieg verwandeln zu können.
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(1) Blick, 20.11.2005
(2) Bänz Friedli: Der Hausmann, Zürich: Hagenbuch Verlag, 2007
(3) Dembowski/Bott: Stichwort zu Fussball, Männlichkeit, deutschem Nationalismus und Herrschaft, in: Arena der Männlichkeit
(4) Kreisky/Spitaler (Hrsg.): Arena der Männlichkeit, Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2006
(5) Jean-Philippe Toussaint: Zidanes Melancholie, Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt, 2007
(6) Allan Guggenbühl: Männer – Mythen – Mächte, Stuttgart: Kreuz Verlag, 1994
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Ein Teil der Überlegungen in diesem Text stammt aus dem Buch «‹Tatort›, Fussball und andere Gendereien» von Jürgmeier und Helen Hürlimann, erschienen im Interact- und Pestalozzianum-Verlag, Zürich und Luzern, 2008
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
@ Fussball sei die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, zieht eine direkte Linie zwischen Fussball, Sport als vormilitärischer Leibesertüchtigung, Armee und Krieg.
Und deshalb untersteht in der Schweiz der Sport eben dem Militär-Departement.