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Flüchtlinge versuchen den Zaun um Melilla zu überwinden, 2014 © Palacios/Flickr/CC

«Nur DDR-Schussanlagen gibt es in Melilla nicht»

Urs P. Gasche /  Der Grenzschutz um Spaniens Nordafrika-Enklaven erinnere ihn an die Berliner Mauer, sagt langjähriger Maghreb-Korrespondent. (1)

Bevor Flüchtlinge vorwiegend aus dem südlichen Afrika zu Zehntausenden eine Bootsfahrt übers Mittelmeer nach Italien, Malta oder Griechenland riskierten oder den langen Weg über den Balkan einschlugen, reisten viele nach Marokko und versuchten dort, in die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta zu gelangen. Unterdessen haben die Spanier Grenzbefestigungen gebaut, die den langjährigen Maghreb-Korrespondenten des Radio SRF, Alexander Gschwind, an die frühere Aussengrenze der DDR erinnern.

Es fehlen nur noch die Selbstschussanlagen

Grenzzaun um Melilla 2014 (Bild: K. Flo Razowsky/FloWalksFree.com)
Die improvisierten Zäune an der ungarischen Grenze seien «nichts im Vergleich zu den ausgeklügelten Grenzbefestigungen in Nordafrika mit Bewegungsmeldern und allen Schikanen». Gschwind war früher für Osteuropa zuständig, unter anderem die DDR, und sagt: «Als ich zum ersten Mal beim Zaun in Melilla war, sah ich darin eine Parallele zur deutsch-deutschen Grenze und zur Situation im geteilten Berlin. Nur Selbstschussanlagen à la DDR gibt es in Melilla nicht.»
Zum ersten Mal hatte Gschwind die Anlage in Melilla vor zwanzig Jahren zusammen mit dem spanischen Gouverneur besichtigt: «Dieser räumte ein, dass das Konzept scheitern werde, dass die Flüchtlinge dennoch ihre Wege finden. Doch jetzt versucht man es bei uns wieder mit den gleichen Rezepten.»

«Es war eine Frage der Zeit»

Seine Erfahrungen und Kenntnisse als Korrespondent für Nordafrika, Spanien und Portugal hat Gschwind im Buch «Diesseits und jenseits von Gibraltar»* veröffentlicht. Der kürzlich pensionierte Radio- und Zeitungskorrespondent versteht nicht, dass man sich heute so erstaunt gibt über die Ankunft der Flüchtlingsströme in Europa: «Der Krieg in Syrien tobt seit über drei Jahren, die Flüchtlingslager im Kleinstaat Libanon und in Jordanien sind platschvoll. Es war eine Frage der Zeit, bis die Leute hier ankommen. Dass niemandem aufgefallen ist, dass die grosse Flüchtlingswelle letzten Spätsommer genau zum Zeitpunkt einsetzte, als das türkische Regime zu seinem neuen Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden im Osten des Landes ansetzte und deshalb dort freie Hand haben wollte, ist bezeichnend und ebenso typisch für das beharrliche Wegschauen. Jetzt wird der Despot in Ankara dafür auch noch mit Milliarden aus der EU-Kasse belohnt!»

Eine Folge der europäischen Aussengrenze


Die beiden Städte Melilla und Ceuta am Südufer der Meerenge von Gibraltar sind die letzten beiden kleinen Kolonialgebiete Spaniens in Afrika. Ende letzten Jahrhunderts nahm der Zuwanderungsdruck illegaler Einwanderer aus ganz Afrika, ja sogar aus dem Nahen Osten und Afghanistan zu. Ein wichtiger Grund sei «die Schliessung der europäischen Aussengrenzen mit Inkrafttreten des Schengener Abkommens» gewesen. Plötzlich sei für die meisten Aussereuropäer der Visumszwang eingeführt worden und die südeuropäischen Schengenländer von Portugal, Italien bis Griechenland wurden «zum Wächter an dieser immer strenger kontrollierten Aussengrenze». «Besonders exponiert» seien die spanischen Enklaven Mililla und Ceuta «als EU-Gebiete auf afrikanischem Boden» geworden. Flüchtlinge konnten sie zu Fuss erreichen.

Über 3000 Flüchtlinge in der Meerenge ertrunken

Die Fluchtwege über das Meer nach den Kanarischen Inseln oder zum spanischen Festland habe die spanische Küstenwache «in unüblich enger Zusammenarbeit mit den Marokkanern» relativ schnell und wirksam abgeriegelt, schreibt Gschwind. Entsprechender Druck und grosszügige finanzielle wie logistische Unterstützung aus Brüssel hätten geholfen. Neue Schnellboote, Helikopter und Radaranlagen mit hochgerüsteter Überwachungselektronik schreckten die Schlepper und Flüchtlinge bald ab. «Bis es soweit war, haben allerdings auch in der Meerenge von Gibraltar mehr als dreitausend Menschen den Tod gefunden, darunter auch viele Mütter mit Kindern und Jugendliche, die auf eigene Faust ihr europäisches Glück suchten.»

Wachtürme alle paar hundert Meter

Umso mehr Flüchtlinge versuchten darauf, auf dem Landweg nach Melilla oder Ceuta zu gelangen. Die Lager waren schnell überfüllt und Rückführungen waren wenig erfolgreich. Deshalb verlegte man sich auf den Ausbau der Grenzbefestigungen. Die Zäune wurden auf drei Meter erhöht und verdoppelt mit Laufwegen für Hunde und Pisten für Jeeps: «Alle paar hundert Meter standen Wachtürme mit Scheinwerfermasten und Bewegungsmeldern».

Grenzzaun um Melilla 2014 (Bild: K. Flo Razowsky/FloWalksFree.com)
Die Patrouillen wurden ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten, Infrarotkameras und Wärmedetektoren. «Mehr als 50 Millionen Schweizer Franken liess sich der spanische Staat diese Aufrüstung kosten und bekam die Probleme trotzdem nicht in den Griff», konstatiert Gschwind.

Gouverneur: «Aussichtslose Sisyphusarbeit»

Der Autor zitiert den damaligen Gouverneur Manuel Cespedes: «Wir haben doch vor wenigen Jahren den Fall der Berliner Mauer gefeiert und schon bauen wir hier eine neue. Das ist doch eine Schande, zum Heulen.» Und wirklich helfen würde diese neue Mauer nicht: «Aussichtslos, reine Sisyphus-Arbeit, das wissen wir doch alle!… Wir werden die Menschen nicht aufhalten. Ihr Drang nach einem besseren Leben ist viel stärker und dafür riskieren sie alles.»

Der Gouverneur zeigte sich überzeugt, dass die «armen Teufel wohl erst zu Hause bleiben, wenn sie dort ein menschenwürdiges Leben führen können, genügend zu essen haben, anständige Bildungschancen und Berufsaussichten».

Zaunhöhe auf 6 Meter verdoppelt

Grenzzaun um Ceuta 2015 (Bild Phil Harris/Flickr/cc)
Nachdem im Jahr 2006 Hunderte von Flüchtlingen aus ganz Afrika die Grenzzäune um Melilla und Ceuta stürmten, wurden diese auf sechs Meter erhöht, mit Stacheldrahtrollen und Messerspitzen auf der Zaunkrone versehen, und noch mehr Überwachungskameras installiert. Die EU schuf ein gemeinsames Kommando unter dem Kürzel «Frontex» zur Sicherung der Südgrenze, inklusive Überwachung mit Satelliten.

Perverse Nähe von Golfspielern und verzweifelten Flüchtlingen (Bild Charlie/Flickr/cc)

Alexander Gschwind bilanziert ernüchtert: «Wie vor Lampedusa oder in der Ägäis nehmen die Flüchtlingsströme nicht ab, verlagern sich höchstens ab und zu je nach Grosswetterlage und Grad der Überwachung. Die Dramen wiederholen sich mit trauriger Regelmässigkeit, und ein Rezept dagegen hat nach wie vor niemand.»


*«Diesseits und jenseits von Gibraltar»
Alexander Gschwind ist Autor des Buches «Diesseits und jenseits von Gibraltar». Wer sich für die Länder Spanien, Portugal, Marokko, Algerien oder Tunesien interessiert, findet in diesem Buch nötiges Hintergrundwissen. Es ist spannend zu lesen dank persönlichen Erlebnissen, leicht erfassbaren historischen, kulturellen und politischen Zusammenhängen, aufgelockert mit Fragen an den Autor, Lexika-Teilen und Fotos.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Alexander Gschwind war ab 1978 Auslandredaktor bei Schweizer Radio DRS (heute SRF). Er berichtete regelmässig in den Sendungen «Echo der Zeit» und «International». Er schrieb auch für verschiedene Zeitungen.

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Eine Meinung zu

  • am 26.04.2020 um 02:00 Uhr
    Permalink

    Als ehemaliger DDR-Bürger stelle ich fest, dass es – neben fehlenden Selbstschussablagen – einen weiteren, gewaltigen Unterschied gibt: Die DDR sperrte ihre EIGENEN Bürger ein, Spanien (und die EU) sperrt andere Bürger lediglich aus. Jeder Staat ist zuvorderst für die eigenen Bürger zuständig (vgl. Amtseid lt. Grundgesetz in Deutschland «zum Wohle des DEUTSCHEN Volkes, Schaden von IHM abwenden», ähnlich in anderen Verfassungen). Überdies wird im Artikel deutlich, dass die Menschen aus Schwarzafrika auf der Suche nach einem besseren Leben fliehen. Dies ist aber kein Asylgrund – nirgendwo auf der Welt, auch in Spanien nicht. Auch ist es nicht Sache der EU, für bessere Lebensbedingungen in Afrika zu sorgen, sondern Sache der jeweiligen Staaten. Letztlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mittlerweile entschieden, dass die sogenannten «Push Backs» nicht gegen Menschenrechte verstoßen. Humanität ist schön und gut – wenn sie aber dem Realitätssinn widerspricht, wird sie gefährlich. Denn ohne Stacheldraht und Zäune, die noch 2 Meter höher sind als an der ungarischen EU-Aussengrenze, würden etliche Millionen über Ceuta bzw. Melilla Europas Grenzen stürmen. Afrikas Einwohnerzahl nimmt alle 4 Monate um die Einwohnerzahl der Schweiz zu. Nicht auszudenken, wenn wir auch nur ein Viertel des reinen Zuwachses in Europa aufnehmen würden. Für Afrika wäre dies ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Folgen demographischer Fehlentwicklungen darf Afrika nicht Europa aufbürden!

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