Glosse
Sprache: Aus falschen Freunden werden regelrechte
Es war einmal ein Wort, das suchte verzweifelt einen Freund. Es hiess «kontrollieren» und bedeutete nach dem Duden jener alten Zeit «überwachen, beaufsichtigen». «Kontrolle» bot ihre Freundschaft an, ward aber verschmäht – nicht weil es eine Freundin gewesen wäre, sondern weil unser Verb sich unbedingt mit einem anderen Tunwort anfreunden wollte. Da traf es eines Tages «to control». Damals kam gerade der Luftverkehr auf, also geschah es wohl auf einem Flughafen im «control tower», zu Deutsch «Kontrollturm», heute meist einfach «Tower». Selektiv verwendet, sind solche Entlehnungen zuweilen sinnvoll.
Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, und die beiden Verben wurden dicke Freunde, obwohl «to control» zu jener Zeit für «kontrollieren» ein falscher Freund war, zumindest zeitweise. Es war keine Frage des Charakters, sondern eine der Bedeutung. Die Fluglotsen in besagtem Turm dürfen sich nämlich nicht damit begnügen, den Flugverkehr zu beaufsichtigen: Sie müssen ihn in die richtigen Bahnen lenken, also beherrschen. Zu Beginn der Wörterfreundschaft bedeutete nur «to control» auch diese gebieterische Art der Aufsicht, und «kontrollieren» muss darunter gelitten haben, weniger zu gelten.
Mit des Dudens Segen
«Falsche Freunde» sind für Linguisten Wörter, die in verschiedenen Sprachen sehr ähnlich klingen, meist auch verwandt sind, aber nicht dasselbe bedeuten, oder nicht nur. Nun erbarmten sich immer mehr Deutschsprachige des mit falscher Freundschaft geschlagenen «kontrollieren» und begannen es auch ausserhalb des Flughafens, ja bis in die grosse Politik für «beherrschen» zu verwenden. Spätestens 1961 nahm der Duden diese Bedeutung ebenfalls auf, und seither sind die beiden Wörter keine falschen Freunde mehr, sondern fast immer echte. Das hindert aber manche Puristen nicht daran, «kontrollieren» anzuprangern, wenn sie es in einem Satz finden, in dem auch «beherrschen» stehen könnte.
Der Duden rechtfertigt seinen Segen im Band 9 (Richtiges und gutes Deutsch) so: «Manche Wörter haben durch Einfluss des Englischen eine zusätzliche Bedeutung, eine Lehnbedeutung, erhalten. So hat realisieren durch realize neben seinen Bedeutungen ‹verwirklichen› und ‹in Geld umwandeln› noch die Bedeutung ‹sich etwas ins Bewusstsein bringen, sich einer Sache bewusst werden› bekommen; kontrollieren hat über control die Bedeutung ‹beherrschen› hinzugewonnen, dekorieren über decorate die Bedeutung ‹(militärisch) auszeichnen› und feuern über fire die Bedeutung ‹entlassen›.»
Und die Selbstkontrolle?
Diese Verwendungen sind wegen verbreiteten Gebrauchs ins Wörterbuch gelangt. Wer sie nicht mag, kann sie vermeiden, sollte sie aber andern nicht mehr als Fehler vorhalten. Dazu braucht es vielleicht Selbstbeherrschung, englisch «self-control». Aus diesem Wort «Selbstkontrolle» zu machen, wäre indessen immer noch verfänglich. In einem Verkehrsmittel ist Selbstbeherrschung zwar immer erwünscht, aber wenn «Selbstkontrolle» angeschrieben steht, ist nur gemeint, man solle sich vergewissern, dass man die Fahrt bezahlt hat. Die Übersetzung «self-control», die englischsprachige Fahrgäste zum Schmunzeln brächte, ist mir noch nicht begegnet, vielmehr das passende «self-checking».
Nicht schwarzzufahren, ist durchaus eine Frage des Charakters. Dieses Wort hat ebenfalls einen teilweise falschen englischen Freund: «character». Als Summe charakteristischer Eigenschaften (eines Menschen, einer Gruppe, auch etwa eines Kunstwerks) ist die Bedeutung beiden Sprachen gemeinsam, auch als Bezeichnung einer Person mit ausgeprägtem Charakter. Dazu kommen im Englischen die Bedeutungen «Schriftzeichen» – deutsch laut Duden.de «veraltend» – und «Figur, Gestalt» in einem literarischen Werk. Hätte der Duden eine Kategorie «aufkommend», so könnte sie hier zutreffen, denn diese Verwendung ist nicht mehr ganz selten. Noch kann man sie als charakterlosen Anglizismus anprangern, doch irgendwann dürfte auch diese Sprachangleichung vom Duden verbucht werden.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
Ja, gewiss, Herr Goldstein, Frau Chételat > So Leuten wie ich, die sich autodidaktisch mit S c h r i f t -Sprache befassen > sind diese Zusammenhänge bekannt, akzeptiere ich aber keine Nachsicht mit diesen Sprachfrevelwörtern, die bei uns nur deshalb verbreitet sind, weil die durchschnittlichen > und das ist die 80 %ige Mehrheit < DCHer kein Schriftsprachverständnis haben > was Sie bitte mal auch in Betracht ziehend erwähnen wollen > Deren Normalsprache sind die unzähligen, 1500 jährigen,schwer schreibbaren Urmuttersprachen, genannt Mundarten, und die neue Schriftsprache
(D)englisch, gespickt mit 500 Französismen gemäss meiner Aufstellung ("Liste"). Das ist die Schriftsprachenlage der DCH, die Bundesbern den Kantonen überlässt, die ihrerseits viel zu wenig tun,dass in den Schulen schriftdeutsche Rhetorik geübt wird, verbunden mit der Suche nach echt deutschem Wortschatz. Da liegt der springende Punkt ! Absichtlich verzögerte allgemeine Pflichteinschulung der Nordschweiz erst ab den 1820ern, Basel, man staune, erst ab 1838, allwo die Einpaukung von Lutherdeutsch in deutschsprachigen Landen (D, A, FL) bereits um 1700 abgeschlossen war. Aber eben, die hiesigen drei weltlichen, geistlichen wie sippischen Obrigkeiten befürchteten Ungemach > politische Begehrlichkeiten, wenn das (all)gemeine Volk lesen könnte, und sowas konnten sie nicht brauchen: ein durch aufklärerische Schriften (Rousseau) aufmüpfig gewordenes Fron-arbeits-Volk. Zudem, welche Schriftsprache wählen ?
Frau Chételat ist unschuldig: Sie hat nur die Porträtfoto gemacht.