Das Raunen in der Journalistenszene
In unserer Zeit erregt die Aufforderung von Glenn Greenwald zu einem «anwaltschaftlichen Journalismus» Aufsehen – obwohl die Anwaltschaft für Menschen- und Bürgerrechte eine ursprüngliche Rolle von Journalisten ist und wäre.
In unserer Zeit machen sich am einen Ort Medienschaffende zum Sprachrohr autoritärer Regenten und Staaten und am anderen Ort zu Einflüsterern und Lautsprechern von Machtapparaten und politischen Machthabern, von der Nato bis zum russischen Staatsapparat und von Putin bis Gauck, und beide klagen die andere Seite an wegen einseitiger Propaganda.
In unserer Zeit streichen selbst florierende Verlage in der Schweiz Redaktionsstellen in grosser Zahl –, um die 30 Prozent sollen es in der Schweizer Presse in den letzten Jahren gewesen sein – , und Wirtschaftsunternehmen, Verbände, politische Verwaltung und Regierungen bis hin zum Bundesrat bauen gleichzeitig die PR-Apparate auf und aus und statten sie mit Geld und anderen Ressourcen reichlich aus. Zahllose Journalisten wechseln in der Folge die Seite und machen sich zu Spin-Doktoren, die der Information die machtpolitisch gewünschte Richtung geben und kritischen Journalismus verhindern.
In dieser Zeit wagen es zwei Preisträger des Pro Litteris-Journalistenpreises, die gerade für ihren widerständigen Journalismus ausgezeichnet wurden, einem Mann den Förderpreis für aufklärerisch engagierten Journalismus zu verleihen, dessen Beruf die Public Relations sind. Al Imfeld und Viktor Parma haben den Förderpreis der Pro Litteris an Oliver Classen gegeben, den Mediensprecher der Erklärung von Bern, der mit einer Arbeitsgruppe das Aufklärungsbuch «Rohstoff – Das gefährlichste Geschäft der Schweiz» geschrieben hat – ein Buch, das immer wieder und gerade auch in diesen Tagen von neuen, skandalösen Fakten bestätigt wird. Ein PR-Mann entpuppt sich als Publizist.
Und der bekannteste Kritiker des Qualitätsverlusts der Schweizer Medien, der Zürcher Soziologe Kurt Imhof und Leiter des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft, gibt der Entscheidung von Imfeld und Parma auch noch seinen professoralen Segen. Infosperber publiziert hier Kurt Imhofs Laudatio für die PR-Arbeit von Oliver Classen.
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Das Raunen in der Branche. Und seine berechtigten Gründe.
«Dieser Förderpreis für Oliver Classen und sein Grund, das Buch ‹Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Welt›, das die Erklärung von Bern herausgibt, gab zu Raunen in der Branche Anlass. Dieses ‚Raunen’ erfolgt durchaus zu recht. Aus drei Gründen:
1. Empörungsraunen: Die beiden Verleiher des Pro Litteris Förderpreises Al Imfeld und Viktor Parma haben es auf dieses Raunen abgesehen. Es ist ein wesentlicher Zweck ihrer Wahl. Sie verweisen in ihrer Begründung auf den «Grat- und Grenzgang» zu dem die Medienkrise den engagierten Journalisten zwinge und als engagierten Journalisten bezeichnen sie den Preisträger, Oliver Classen, der als Mediensprecher der Erklärung von Bern tätig ist. Ausgerechnet der zum Kampagnen-Experten mutierte Journalist erhält einen Förderpreis für Journalismus! Da kann ja jeder Interessenvertreter einen Medienpreis bekommen. Muss der gebeutelte Journalismus nun auch noch Medienpreise mit Überläufern teilen? Empörend! Raunen ist da noch eine ziemlich zivilisierte Reaktion.
2. Anerkennungsraunen: Das Buch, das Oliver Classen mit einem Rechercheteam verfasst und koordiniert hat, ist eine ausgezeichnete journalistische Leistung. Es beleuchtet facettenreich ein vernachlässigtes Thema mit grossen Reputationsrisiken für die Schweiz, es ist gut geschrieben und erfüllt die Qualitätskriterien des professionellen Journalismus: Es thematisiert ein ebenso relevantes wie aktuelles Problem auf vielfältige Weise in verschiedensten journalistischen Formaten. Es ordnet die reichhaltigen Fakten der Rohstoffdrehscheibe Schweiz, ihre Geschichte, ihre schiere Grösse, ihre steuerliche Begünstigung, ihre bislang unbekannten Praktiken und Akteure sorgfältig ein, weist die Quellen detailliert aus und zieht vom ausgezeichneten Vorwort von Lukas Bärfuss «Die unangenehmen Tatsachen» bis zum Schlusswort dem Leninschen «Was tun?» einen roten Faden durch: Warum und wie muss die Rohstoffbranche reguliert und damit zivilisiert werden? Raunend äussert sich auch Anerkennung.
3. Verblüffungsraunen: Der real existierende Journalismus hat das Thema vernachlässigt, die Resonanz der Rohstoffbranche in den Informationsmedien entspricht in keiner Weise ihrer Bedeutung. Der «Rohstoffplatz Schweiz ist gross – schwindelerregend gross» heisst es im Buch. Es gehört zu den Bizarritäten des globalisierten Kapitalismus in der Ära des Steuer- und Standortwettbewerbs, dass in der Schweiz, die bezüglich Rohstoffe zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, die grösste Rohstoffdrehscheibe der Welt mit den reichsten Zwischenhändlern entstanden ist. Damit hat sich die Schweiz – massgeblich aufgrund ihres Unternehmenssteuerregimes, fehlender Transparenzgesetze und der Nichtanwendung des Geldwäschereigesetzes auf den Rohstoffhandel – ein veritables Klumpenrisiko angelacht: Unter den elf umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz befinden sich gemäss «HandelsZeitung» acht Rohstofffirmen (unter Berücksichtigung der Fusion von Glencore und Xstrata) und der BIP-Anteil erreichte schon 2008 die Grössenordnung der schweizerischen Maschinenindustrie und ist heute grösser als jener der Tourismusbranche.
Neben der Finanzindustrie, die sich in der jüngsten Zeit vor allem durch die Akkumulation von Reputationsproblemen, Steuergutschriften, Schuldeingeständnissen und Bussen auszeichnet, ist in kurzer Zeit eine Branche herangewachsen, deren Reputationsprobleme noch zahlreicher sind: Die Gewinnung von und die Spekulation mit Rohstoffen ist ultimatives Hardcore-Business: Vertreibungen, Ausbeutung, gefährliche Arbeitsbedingungen, Allianzen mit oft korrupten staatlichen und parastaatlichen Akteuren, Spekulation mit Nahrungsmitteln und Energie und weltweite Steueroptimierung durch internen Handel sind einige Stichworte. Wie die Finanzwirtschaft handelt es sich um eine Branche, die über kurz oder lang ebenfalls weltweit reguliert werden muss. Und genauso wie einst bei der Finanzindustrie diskontierten weder Politik noch Medien die Risiken, die sich der Schweiz stellen. Das Buch hat daran etwas verändert: Seit seiner Publikation im Herbst 2011 ist die reflexive Berichterstattung über die Schweizer Rohstoffbranche sprunghaft gestiegen. Das Buch bewirkte auch ein Verblüffungsraunen und die EvB nimmt dabei eine Pionierrolle ein.
Unter dem Strich steht also das Anerkennungsraunen für die journalistische Leistung und das Verblüffungsraunen durch die Wahrnehmung des Klumpenrisikos Rohstoffbranche, dem Empörungsraunen über die Be-Preisung des Mediensprechers Classen gegenüber.
Es ist so, der Journalismus unterliegt einem Brain Drain in die PR, er franst aus in Zwischenbereiche wo PR-Hüte und Journalismus-Hüte kaum mehr zu unterscheiden sind, er büsst an Dossierwissen und Ressortspezialisierung ein, ein guter Teil des Nachwuchses verdient seine Sporen mit Softnews und Listicles und managt die Social Media von Medien, der Rest ist im Stress, verliert an Unabhängigkeit in Mischkonzernen oder kehrt zum Weltanschauungsjournalismus zurück.
Angesichts dieser neuen erosionsinduzierten Unübersichtlichkeit müssen erfahrene Vertreter der Branche wissen, was guter Journalismus ist. Beim vernachlässigten Thema Rohstoffbranche Schweiz ist eine NGO in die Wahrnehmungslücke gesprungen, hat Geld in die Hand genommen, ein Rechercheteam zusammengestellt, ein ‚währschaftes’ journalistisches Werk auf die Beine gestellt und die Lücke erschlossen. Al Imfeld und Viktor Parma wissen nicht nur was guter Journalismus ist, sie wissen auch, wo er nötig ist. Hier war, ist und bleibt er nötig.
Oliver Classen, der das Rohstoffteam der EvB repräsentiert, erhält den Förderpreis zu Recht! Vor solchen Überläufern braucht sich die Branche nicht zu fürchten: Mehr davon! Herzliche Gratulation Oliver!»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine