Als der Vatikan auf Hitlers Nazi-Regime setzte
Aus Furcht vor dem Kommunismus und im Kampf gegen die Unmoral verbündete sich Papst Pius XI. im Frühjahr 1933 mit Adolf Hitler und dem Nazi-Regime. Über die Hintergründe dieser überraschenden Kehrtwende des Vatikans legt der Historiker Thies Schulze der Universität Münster neue Belege vor (siehe Link unten). Dabei stützt er sich auf die Berichte des französischen und des polnischen Botschafters beim Vatikan, François Charles-Roux und Wladyslaw Skrzynski.
Kirchenvertreter blenden Annäherung an Hitler aus
Laut Schulze haben die Historiker bisher den antikommmunistischen Hintergrund der päpstlichen Annäherung ans Nazi-Regime «nur unzureichend» erklärt. Die Kirchenvertreter «blenden die zwischenzeitliche Annäherung zwischen Vatikan und Hitler-Deutschland aus und stellen die ideologische Gegnerschaft zum Nationalsozialismus als durchgängiges Hauptmotiv vatikanischen Handelns dar.» Auch das vatikanische Geheimarchiv, welches in den Jahren 2003 und 2006 für die Historiker zugänglich gemacht wurde, verrate «für das Jahr 1933 verhältnismäßig wenig über das Deutschland-Bild im Vatikan.» Umso interessanter sei der Einblick in die Berichte der französischen und polnischen Botschafter, welche die damalige Politik des Vatikan von aussen verfolgten.
Papst Pius XI. bewunderte Hitlers Mut
Am 7. März 1933 staunte der französischen Botschafter Charles-Roux nicht schlecht, als ihm Papst Pius XI. erklärte: «Ich habe meine Meinung über Hitler geändert, infolge der Rede, die er dieser Tage über den Kommunismus gehalten hat. Das ist das erste Mal, man muss es schon sagen, dass sich die Stimme einer Regierung erhebt, um den Bolschewismus in solch entschiedenen Worten anzuprangern, und um sich mit der Stimme des Papstes zu verbinden.» Laut Historiker Schule lobte Papst Pius XI. das Nazi-Regime und Adolf Hitler wiederholt gegenüber den Botschaftern.
Schulze kommt aufgrund der Berichte der Botschafter zum Schluss: «Wohl unter dem Eindruck des Reichstagsbrandes, den Hitler den Kommunisten in die Schuhe geschoben hatte, bereitete der Papst zunächst die Diplomaten auf seinen Kurswechsel vor. In einer Ansprache vor der römischen Kardinalsversammlung sprach der Papst das Lob schliesslich am 13. März 1933 öffentlich aus, ohne Hitler namentlich zu erwähnen.» Kurz nach dem Reichstagsbrand vom 27./28. Februar vertraute Papst Pius XI. dem französischen Botschafter an, auch ihn hätten die Bolschewisten mehrmals mit dem Tode bedroht. Und gegenüber dem polnischen Botschafter hob er «sogar Hitlers Mut hervor, unter Gefahr des eigenen Lebens gegen den Kommunismus Stellung bezogen zu haben», wie Schulze in den «Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte» festhält.
Vatikan setzte auf die Moral des Nazi-Regimes
Schulze spricht von einer «überraschenden Wende» des Vatikans, weil die Fuldaer Bischofskonferenz noch im August 1932 die Unvereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus erklärte, insbesondere wegen der antikatholischen Haltung des Nazi-Regimes. Laut Schulze erscheint es deshalb «umso erstaunlicher, dass sich das Blatt schon bald nach Hitlers Machtübernahme wenden sollte.» Entscheidend für die Kehrtwende des Vatikans dürfte Hitlers «Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk» vom 1. Februar 1933 gewesen sein. Darin war von einem «unerhörten Willens- und Gewaltansturm» der «kommunistischen Methode des Wahnsinns» die Rede, was laut Schulze «Grundängste der vatikanischen Politik bediente.»
Denn schon 1930 hatte Papst Pius XI. zu einem «Kreuzzug des Gebets» und zum Kampf der «Kulturvölker» gegen den Bolschewismus aufgerufen. In der Enzyklika «Caritate Christi Compulsi» vom Mai 1932 sprach Pius XI. von der «teuflischen» Agitation der Kommunisten. Gegenüber den faschistischen Diktaturen war die Haltung des Heiligen Stuhls «weitaus weniger eindeutig», wie Schulze festhält. Vielmehr setzte der Vatikan auch in der moralischen Neuorientierung auf das Nazi-Regime. Als der Nazi-Minister Hermann Göring per Erlass die Zensur sittlich anstössiger Texte und Bilder verfügte und eine «Deutsche Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate» einrichtete, war man im Vatikan voll des Lobes.
Gravierende Fehleinschätzungen des Vatikans
Wie der polnische und französische Botschafter berichteten, waren die Kirchenvertreter von Versprechungen der Nazis beeindruckt, in Deutschland «gegen Unmoral, Nudismus und Pornografie» zu kämpfen. Laut Schulze befürchtete der Vatikan eine Zersetzung der Gesellschaft von innen durch kommunistische Umtriebe: «Dass in Wirklichkeit von den Nationalsozialisten eine wesentlich grössere Bedrohung ausging, erkannten der Papst und sein Umfeld nicht.»
Die Angst vor dem Bolschewismus verleitete Papst Pius XI. zu einer weiteren «Fehleinschätzung», wie der Historiker Schulze festhält. Im Vatikan habe man «zwischen Hitler und seiner Bewegung unterschieden.» So bezeichnet Pius XI. Hitler noch am 18. Mai 1933 als «weit gemässigter als die meisten seiner Anhänger.» Und wie der polnische Vatikan-Botschafter Skrzynski festhielt, sah man im Vatikan im März 1933 nicht Hitler, sondern die protestantischen Deutschnationalen als mögliche Bedrohung. Die päpstlichen Fehleinschätzungen hatten laut Schule «weitreichende Folgen», weil die wichtigsten Weichenstellungen für das Verhältnis von Kirche und nationalsozialistischem Staat in dieser Zeitspanne erfolgten: «Die Ausschaltung des politischen Katholizismus und der Abschluss des Reichskonkordates.»
«Eindruck, dass der Vatikan schon besser informiert ist»
Ab Mai 1933 berichteten die Botschafter aus Frankreich und Polen immer häufiger von «nachdenklicheren Tönen» im Vatikan. Am 19. April 1933 schrieb der polnische Botschafter Skrzyński: «Ich habe den Eindruck, dass der Vatikan nun schon besser informiert ist, auch über Schritte Hitlers, die für ihn nicht ausschliesslich erfreulich sind.»
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