Spendierlaune mit problematischen Seiten
«Wir haben etwas zu feiern: In den USA haben Einzelpersonen, Unternehmungen und Stiftungen im Jahr 2010 knapp 291 Milliarden Dollar wohltätige Spenden vergeben – und das mitten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten». Die Summe ist damit gegenüber dem Vorjahr um 3,8 Prozent gewachsen. Nachzulesen ist dies alles im Jahresbericht 2011 der «Giving USA Foundation» und des «Center on Philanthropy at Indiana University». Damit werde einmal mehr bewiesen, dass Wohltätigkeit ein zentraler amerikanischer Wert sei, schreiben die Autoren des Jahresberichts.
«Giving back to the community»
Recht haben sie: Die USA sind das Land mit der grössten Spendentradition. Vor allem in der Vorweihnachtszeit klingeln die Kassen der gemeinnützigen Organisationen: In dieser Periode kommt rund die Hälfte aller Spendengelder zusammen. «Giving back to the community» ist mehr als nur Fassade. Wer es in den USA zu etwas gebracht hat, fühlt sich meist ehrlich verpflichtet, mit grosszügigen Spenden der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Besonders spektakulär war die Initiative von Microsoft-Gründer Bill Gates und Grossinvestor Warren Buffett im August letzten Jahres. Sie scharten 40 US-Milliardäre um sich, die öffentlich versprachen, mindestens die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden.
Weil «Charity» in den USA eine so dominierende Rolle einnimmt, ist das Stiftungswesen auch recht streng geregelt. Es gibt zwar Steuerbefreiung oder Steuervergünstigung, aber nur, wenn die Gelder genau definierten Zwecken zugeführt werden: Bekämpfung der Armut, Ausübung der Religion, Förderung von Bildung, Erziehung und der Künste, öffentliches Gesundheitswesen, öffentliche Fürsorge, Pflege und Unterhalt von Gemeinschaftseinrichtungen. Auch der Spender hat etwas davon, wenn er steuerbefreite Organisationen begünstigt: Maximal bis zur Hälfte des zu versteuernden Einkommens können abgezogen werden.
Einseitiger Spendenfluss
Ein Blick in den jüngsten Jahresbericht 2011 der «Giving USA Foundation» zeigt aber auch, dass der Geldsegen recht einseitig fliesst. Rund 35 Prozent der Gelder kommen religiösen Institutionen zugute, und das konstant seit 56 Jahren. Einer der Gründe liegt darin, dass die USA keine Kirchensteuer kennen. Und ein Teil dieser Gelder wird indirekt wieder für soziale Zwecke der einzelnen religiösen Gemeinschaften verwendet. Nur hat die Sache eben auch eine problematische Seite, wie das Beispiel von Thomas S. Monaghan zeigt. Der Milliardär und Gründer der internationalen Fast-Food-Kette «Domino’s Pizza» bekennt sich in einem Interview mit der «Zeit» offen dazu, sein Geld lieber privat zu spenden als es dem Staat zu überlassen. Er habe bereits viele Millionen an Projekte vergeben, die seinem katholischen Glauben entsprechen, als da sind: eine Initiative gegen Homosexuelle, eine Kathedrale in Nicaragua, katholische Schulen und eine katholische Universität.
Dominierende Non-Profit-Organisationen
Hier tritt ein Grundproblem privater Wohltätigkeit zutage: Das Geld fliesst dorthin, wo die Spenderinnen und Spender wollen, und nicht dorthin, wo die Prioritäten in einem demokratischen Prozess gesetzt werden. Wird zum Beispiel der soziale Ausgleich nicht staatlich organisiert und garantiert, besteht die Gefahr, dass potente Stiftungen und Superreiche durch ihre Spenden die Gesellschaft nach ihrem Geschmack umformen. Schon heute bilden in den USA Stiftungen einen wichtigen Faktor im öffentlichen Leben und bewältigen Aufgaben, die in anderen Ländern durch den Staat wahrgenommen werden. Praktisch die gesamte gesellschaftliche Grundausstattung der USA wird von Non-Profit-Organisationen sichergestellt. Oder wie es im Vorwort des Jahresberichts 2011 der «Giving USA Foundation» heisst: «Wohltätiges Spenden bleibt für die amerikanische Gesellschaftsstruktur zentral.»
Spenden verdreifacht
In der Tat läuft ohne private Wohlfahrtinstitutionen fast gar nichts mehr – vor allem, nachdem US-Präsident Ronald Reagan in den Achtzigerjahren seinen Kahlschlag gegen den Sozialstaat durchführte. Wenn aber private Spenden immer mehr den öffentlichen Raum besetzen, besteht die Gefahr, dass sie dem Staat das Alibi liefern, sich vermehrt aus der Verantwortung zu stehlen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die wohltätigen Spenden in den USA haben sich in den letzten 30 Jahren, in denen der Graben zwischen arm und reich immer tiefer geworden ist, nahezu verdreifacht, wie die «Giving USA Foundation» schätzt.
Neuer Typ von Milliardär
Das führt dann letztlich zu dem, was der Politik-Reporter Nicholas Confessore in der «New York Times» kürzlich den «policy-making billionaire» nannte. Dies sei der neue Typ von Milliardär, der exakt in die Zeit sinkenden Vertrauens in den Staat passe, der das Heft lieber selbst in die Hand nehme und überzeugt sei, alles wirksamer und effizienter zu regeln als staatliche Institutionen. Die «neuen Philanthropen» seien von tiefem Misstrauen in die etablierte Politik erfüllt.
Man könne diese Art von Philanthropie, je nach Betrachtungsweise, als «ausserordentlich wohltätig oder ausserordentlich undemokratisch» beurteilen, schreibt Confessore in seinem Beitrag über Sinn und Gefahren grosser privater Spenden. Beispiel Bildung: Während die einen finden, mit privaten Mitteln könnten landesweit neue Schulexperimente finanziert werden, argumentieren andere, damit werde ein enormer Einfluss auf die Bildungspolitik ausgeübt, und zwar ohne die entsprechende Verantwortlichkeit wahrzunehmen. Richard L. Brodsky von der liberalen Denkfabrik Demos bleibt kategorisch: «Die Vorstellung, dass der Gesellschaft mit den Wohltätigkeitsinstinkten der Superreichen besser gedient sei, ist letztlich antidemokratisch.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine