Spionage: Am Gängelband der «Partnerdienste»
Schweizer Geheimagenten im Departement VBS von Guy Parmelin (SVP) machen einmal mehr von sich reden: Es geht um mutmassliche Spionage im Ausland und um Spionageabwehr im Inland. In beiden Fällen mittendrin – der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit seinen 300 geheimen Funktionären und einem Jahresbudget von 73 Millionen Franken. Und dieser NDB sieht sich einmal mehr mit harschen Vorwürfen konfrontiert. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt zudem: Am Dienstag, 2. Mai, publizierte der Nachrichtendienst seinen Lagebericht.
Schweizer Steuer-Spion – ein NDB-Agent?
Interessanter als der NDB-Bericht sind jedoch die geheimen Aktivitäten eines mutmasslichen Schweizer Spions, der am vergangenen Freitag in einem Frankfurter Luxushotel festgenommen wurde. Der Mann wird dringend verdächtigt «für den Geheimdienst einer fremden Macht» tätig gewesen zu sein. Er soll deutsche Steuerfahnder bespitzelt haben, die in der Schweiz reiche deutsche Steuerdelinquenten aufspüren wollten. Ob der 54-jährige Schweizer tatsächlich im Auftrag des NDB unterwegs war, ist nach wie vor unklar. An der gestrigen Jahresmedienkonferenz des NDB wollte sich Bundesrat Parmelin dazu nicht äussern.
Sollte jedoch tatsächlich der NDB hinter der Schnüffelei stecken, stellt sich die Frage, ob der geheime Kampf gegen deutsche Steuerbehörden (und damit der Schutz deutscher Steuerdelinquenten) überhaupt eine Aufgabe des Schweizer Geheimdienstes ist. Laut Recherchen des «Tagesanzeiger» führte der NDB seit der Affäre um verkaufte Steuer-CDs eine schwarze Liste von deutschen Steuerfahndern. SVP-Ständerat Alex Kuprecht, der die parlamentarische Aufsicht über die Schweizer Geheimdienstler leitet, sieht derlei höchstens «im Graubereich der Gesetzgebung». Anders Norbert Walter-Borjans, Finanzminister des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Er sprach im neusten «Sonntagsblick» Klartext: «Wenn Nachrichtendienste Spione beauftragen, in Deutschland Steuerfahnder zu bespitzeln, muss man sich doch fragen, in wessen Interesse sie handeln. Im Namen der Steuergerechtigkeit wohl kaum.» Führende deutsche Politikerinnen nennen die Sache «eine Sauerei».
Spionageabwehr vernachlässigt
Eine «Sauerei» ist zweifellos auch, wenn Agenten des Erdogan-Regimes und der APK ihre türkischen Landsleute in der Schweiz bespitzeln (rund 120‘000 Personen). Das zu verhindern, ist ein zentraler Auftrag des NDB: Es sei seine Aufgabe «Massnahmen im Bereich des verbotenen Nachrichtendienstes, auch Spionage genannt, zu treffen und diese zu bekämpfen», schreibt der Nachrichtendienst in seinem Faktenblatt Spionage.
Auch «politische Spionage» gehört dazu. Und diese gibt es seitens der Türkei in unserem Land schon lange – zunächst vorab gegen Kurden, die vom Erdogan-Regime fast flächendeckend als «Terroristen» verunglimpft werden. Neuerdings nun gegen hier ansässige Oppositionelle, die sich gegen den Abbau des Rechtsstaates und der Demokratie in ihrem Heimatland durch den dortigen Machthaber Erdogan engagieren.
«Was hat die Spionageabwehr im NDB dagegen unternommen?» Die Antwort des Nachrichtendienstes: «Der NDB analysiert die Lageentwicklung in der Türkei und deren Auswirkungen auf die türkische Diaspora in der Schweiz aufmerksam und laufend. Bei Bedarf werden Massnahmen von den Sicherheitsbehörden ergriffen.» Verwiesen wird zudem auf eine Interpellation vom 13.9.2016 im Ständerat mit dem Titel «Präsident Erdogans langer Arm reicht bis in die Schweiz».
In seiner Antwort schreibt der Bundesrat dann eher schwammig von «Polarisierungstendenzen» und «Drohungen zwischen Personen» unter der hiesigen, türkischstämmigen Bevölkerung. Und: Der NDB werde «bei begründetem Verdacht die Bundesanwaltschaft informieren».
Dabei ist längst bekannt, dass türkische Spitzel hierzulande Landsleute überwachen und systematisch fotografieren. Erst kürzlich flog ein türkischer Gruppenleiter bei der Basler Polizei auf (und wurde vorübergehend festgenommen), weil er sich als Erdogan-Spion betätigt und Regierungskritiker beim türkischen Konsulat in Zürich denunziert hatte. Jetzt sagt Basels Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP) dazu: «Die Weitergabe von Daten an ausländische Organisationen wäre ohne Zweifel ein schwerwiegendes Vergehen.»
Dabei hatten sowohl Dürrs kantonaler Nachrichtendienst (KND) als auch der NDB aus Bern die Basler Polizei schon letztes Jahr über den fanatischen Erdogan-Anhänger in ihren Diensten informiert. Geschehen ist indes nichts – wegen «nicht hinreichenden Verdachtsmomenten», wie die Basler jetzt sagen. Auch der NDB teilte letzte Woche mit: «Konkrete Anhaltspunkte für Spionagetätigkeit bestanden damals nicht.» Massnahmen wurden keine getroffen. Der Türke spionierte munter weiter – auch im Basler Polizeicomputer, wie inzwischen feststeht.
Gummi-Paragrafen schonen «Partnerdienste»
Wurde der Mann geschont, weil er beim türkischen Geheimdienst und damit für einen «Partnerdienst» unseres NDB tätig war? «Die Liste der Partnerdienste ist vertraulich klassifiziert», antwortet der NDB. Und er «gibt keine weiteren Details dazu bekannt». Bekanntgeben muss der Geheimdienst neuerdings aber, dass er mit hundert solchen «Partnerdiensten» zusammenarbeitet. Intensiv ist dieses «Geben und Nehmen» vorab mit Diensten der Nato-Partner, zu denen nebst der Türkei auch die Schweiz gehört. Neutralität hin oder her.
Dass die Abwehr von Spionagetätigkeiten solcher «Partner» in unserem Land eher «partnerschaftlich» als dezidiert geschieht, liegt auf der Hand. Mehr noch: Raffinierte Schlupflöcher im geltenden Gesetz garantieren diesen «Partnern» einen veritablen Freipass.
Er kämpfe nicht nur gegen «strafgesetzlich verbotenen Nachrichtendienst», hält der NDB fest. Sondern auch gegen «jede unerwünschte Tätigkeit von fremden Nachrichtendiensten auf dem Gebiet der Schweiz». Aha: Da gibt es also nicht nur «verbotene Spionage» sondern auch bloss «unerwünschte». Gibt es umgekehrt vielleicht sogar «tolerierte oder erlaubte Agenten-Tätigkeit» in unserem neutralen Land? Sicher. Die sieht gemäss NDB so aus: «Führungsoffiziere eines fremden Dienstes treffen sich auf Schweizer Territorium mit einer Quelle, die ebenfalls aus einem anderen Land stammt.» Aber: «Solche Drittlandtreffen sind gemäss Strafgesetzbuch nur dann strafbar, wenn es um militärischen Nachrichtendienst geht.»
Schweizer Agenten machen was sie wollen
Konkret: Wenn sich der nun ertappte Basler Spitzel-Polizist in Olten mit seinem türkischen «Führungsoffizier» zwecks Denunziation von Basler Erdogan-Gegnern trifft, ist dies eher ein «Drittlandtreffen» (weil ja «nur» politischer Nachrichtendienst – und nicht militärischer). Solche «ausländische Operationen» in unserem Land «könne» der NDB «stören oder verunmöglichen, falls solche Operationen der Schweiz Nachteile zufügen». – «Könne» und «falls».
Wer diese gefährlichen Gummi-Paragrafen wann ins Gesetz geschmuggelt hat, ist unklar. Klar ist hingegen: Was der Schweiz «Nachteile zufügen» könnte – oder nicht, entscheiden damit die NDB-Leute selber. Ebenso, welche Spione und welche ihrer Tätigkeiten hierzulande «erwünscht», noch toleriert oder eben «unerwünscht» sind. Und es erklärt auch die Floskel des «besorgten» Bundesrates in seiner wenig präzisen Antwort auf die ständerätliche Interpellation zur Türken-Bespitzelung: «Kein Indiz für eine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit der Schweiz.»
10‘000 Nachrichten von 100 «Partnern»
Weit mehr als mit der gesetzlich stark behinderten Abwehr von Spionen in unserem Land befasst sich der NDB ohnehin mit intensivem Austausch von Nachrichten mit seinen 100 Partnerdiensten. Letztes Jahr gingen bei ihm 10‘000 Meldungen solcher «Partner» ein. Und der NDB selber bediente Partnerdienste mit rund 5000 Depeschen. Das sei eben ein intensives «Geben und Nehmen», lautet die Standardformulierung des aktuellen NDB-Chefs Markus Seiler.
Und er ist sich der entsprechenden Gefahren sehr wohl bewusst: «Wir müssen uns immer fragen: Mit welchen Hintergedanken geben uns Partnerdienste Hinweise», sagte er gegenüber dem «Boten der Urschweiz». Denn: «Welche Interessen stecken dahinter?» Konkret hielt ein hoher ehemaliger NDB-Mann während den jahrelangen Sanktionen gegen Iran etwa fest: «Die Schweiz hat eigentlich kein Problem mit dem Iran, das Land bedroht uns nicht.» Das Kesseltreiben verschiedener Partnerdienste gegen Teheran sei wenig glaubwürdig und politisch durchsichtig. Trotzdem sah sich die Schweiz zu Sanktionen gezwungen.
Calmy-Rey im Visier des türkischen Geheimdienstes
Wie gefährlich die Beeinflussung der Schweizer Nachrichtendienste durch «Partnerdienste» (die im Geheimen mitunter illegal bis kriminell unterwegs sind) werden kann, zeigte sich krass im Jahr 2003. Schon damals warnte Jacques Pitteloud, der Nachrichtenkoordinator des Bundes (den es da noch gab) im Nachhinein: «Informationen von ausländischen Geheimdiensten müssen mit eigenen Quellen verglichen werden. Zudem muss eine gewisse Wertung vorgenommen werden über die Frage: Was ist das Interesse des ausländischen Dienstes, wenn er uns die Nachricht weiterleitet?»
Was war geschehen? «Informiert» durch seinen türkischen «Partnerdienst» erschien Urs von Daeniken der damalige Chef des Schweizer Nachrichtendienstes (DAP), der noch im Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) angesiedelt war, an einem Septembermorgen 2003 im Büro seiner politischen Vorgesetzten, der CVP-Bundesrätin Ruth Metzler. Gemäss den Türken unterhalte die SP-Bundesrätin und Schweizer Aussenministerin, Michelin Calmy-Rey, engen Kontakt zu Staatsfeinden der Türkei aus Kurdistan, wusste der Nachrichtenchef seiner Bundesrätin zu berichten. Und Metzler nahm diese Nachricht offenbar so ernst, dass sie nicht etwa direkt die angeschwärzte Bundesratskollegin, sondern gleich den damaligen Bundespräsidenten Pascal Couchepin (FDP) darüber informierte.
Dieser vertraute den Geheimdienstlern und ihren türkischen Partnern offenbar auch mehr als seiner Kollegin Calmy-Rey: Nicht mit ihr nahm er Kontakt auf, um die Sache zu klären, und nicht einmal mit «seinem» Nachrichtenkoordinator Pitteloud. Sondern mit dem türkischen Botschafter – der die vagen Verdächtigungen natürlich bestätigte. Dessen Chef schon damals: Regierungschef Recep Tayyip Erdogan.
Couchepin blamiert, Metzler abserviert
Wiederum hinter Calmy-Reys Rücken (und ohne ihr zu sagen, worum es genau ging) setzte Couchepin daraufhin für den 3. Oktober 2003 um 7 Uhr früh eine ausserordentliche Bundesratssitzung an: Calmy-Rey sollte überraschend mit dem «Fall» konfrontiert und blamiert werden. Doch die hinterhältige Aktion des Freisinnigen und der CVP-Frau Metzler gegen die SP-Bundesrätin war ein Schuss ins Leere. Ja, sicher, sagte Calmy-Rey seelenruhig, sie haben am 29. August in Lausanne am Rande einer Konferenz kurz mit einem Vertreter einer kurdischen Organisation gesprochen, dessen Namen sie jedoch schon nicht mehr wisse. Der Mann sei in einer Pause spontan zu ihr gekommen – und sie habe ihn gebeten, seine Anliegen doch schriftlich an ihr Departement das EDA zu richten. Punkt. Noch Fragen?
Couchepin und Metzler «sassen mit abgesägten Hosen da», wie Medien später berichteten – und wussten nichts mehr zu sagen. Die peinliche Sitzung war schnell beendet. Der total blamierte Couchepin versuchte noch seinen Reinfall auf in jedem Sinne «getürkte» Anschwärzungen gegen eine Kollegin ebenso zu verheimlichen, wie sein hinterhältiges Vorgehen in der Sache: Er nötigte der Kollektivregierung «striktes Stillschweigen» ab. Umsonst: Der «Tagi» publizierte die ganze Affäre Ende Oktober 2003. Und kommentierte: «In der Schweiz sind die geheimen Informationsbeschaffer zumindest in der Lage, Material für Intrigen zu Liefern und Zwietracht im Bundesrat zu schüren.»
Ob die spektakuläre Abwahl Metzlers gegen Blocher am darauffolgenden 10. Dezember 2003 auch mit diesem bösen, unkollegialen Patzer zu tun hatte, lässt sich nur vermuten. Sicher jedoch ist, dass die Geheimdienst-Fehlleistung damals ebenso zu diplomatischen Verstimmungen mit der Türkei führte, wie nun die Spionage-Affäre mit Deutschland.
Wer hatte Clamy-Rey bespitzelt?
Die Frage jedoch, wer die Schweizer Bundesrätin am 29. August 2003 in Lausanne bespitzelt hatte, oder wer ihren kurdischen Gesprächspartner ausspionierte, wurde nie beantwortet. Wie auch? Statt dies rasch zu klären, liessen sich die Berner Geheimagenten vor den türkischen Propaganda-Karren spannen. Dabei ist die Abwehr solcher Spionage und der Schutz der einheimischen Bevölkerung vor Bespitzelung durch fremde Dienste eine vordringliche Aufgabe der Nachrichtenleute.
Heute jedenfalls versichert der NDB auf konkrete Nachfrage: «Liesse ein ausländischer Staat seine Bürger in einem anderen Staat überwachen, würde man das Spionage nennen, was verboten ist.» Und im Unterschied zur Basler Polizei, die einen ausländischen Spion gar als Gruppenleiter beschäftigte und bezahlte, beantwortet der Nachrichtendienst des Bundes «gerne» eine entsprechende Frage: «Um beim NDB arbeiten zu können, ist die Schweizer Nationalität Voraussetzung.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.