Medienfreiheit in Gefahr: der lästige Widerstand
Kritik ist lästig. Aber es ist die Aufgabe von Kritikern, manchmal lästig zu sein. Auch gegenüber Kollegen, wenn es geboten erscheint. Auch wenn die Kritisierten dann versuchen, die lästige Kritik mit einer spöttischen Bemerkung abzuschütteln.
«Infosperber mokierte sich über die ‚zögerliche Solidarität’ der Schweizer Journalist/innen und ihrer Verbände und kritisierte investigativ.ch dafür, nicht auch gegen die Einschüchterungsaktionen der britischen Regierung gegen den Guardian protestiert zu haben.» Das schreibt «investigativ.ch» auf ihrer Website, am Ende der Medienmitteilung, die uns sagt, dass «95 Journalistinnen und Journalisten gegen das Vorgehen der Neuenburger Staatsanwaltschaft» gegen den Westschweizer Enthüllungsjournalisten Ludovic Rocchi protestieren.
«Infosperber mokierte sich» keineswegs, wenn denn immer noch der alte Wahrig (das Wörterbuch der deutschen Sprache) gilt, wonach «sich mokieren» heisst: «sich lustig machen». Denn lustig ist die Sache ja nicht. Und «Infosperber» respektiert die Arbeit und den Einsatz der Verbände.
International vernetzt – aktiv oder passiv ?
Aber «Infosperber» kritisiert und bleibt dabei, aus Kenntnis der Vorgänge, dass Schweizer Medienverbände wie impressum oder Syndicom einen Ankick brauchen, um zum Fall Snowden, «Guardian» und der Festnahme und dem Verhör von David Miranda eine eigene Stellungnahme im eigenen Land zu veröffentlichen. Und sich nicht damit zu begnügen, dass die Europäische Journalisten-Vereinigung EFJ/IFI den Protest quasi stellvertretend besorgt. Ein internationaler Protest, den in der Schweiz wohl keiner wahrnimmt, weil ja keiner darauf laut und deutlich hingewiesen hat. (Siehe dazu Artikel auf «Infosperber»: «Die Schweizer Mühsal mit der Pressefreiheit».)
Mit dem blossen Verweis auf die internationale Dachorganisation wird die internationale Vernetzung zu einer bürokratisch passiven Veranstaltung – «das Brüsseler Büro protestiert auch in unserem Namen – wir stehen dahinter» –, zu einer organisierten Rechtfertigung des Nichtstuns. Ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Absicht einer solcher internationalen Organisation: gemeinsam zu handeln auf der internationalen, nationalen, regionalen und lokalen Ebene.
Global ist auch lokal
Der Glaube, dass uns der Westschweizer Rocchi näher ist als der US-Amerikaner Snowden und der britische «Guardian» ist ein Irrglaube. Beide Fälle betreffen uns direkt. Die amerikanischen Geheimdienste haben heute intimeren Einblick in unsere Kommunikation als ein übereifriger Neuenburger Staatsanwalt mit fehlgeleiteten Polizisten (und manchmal sind wir den Amerikanern dafür sogar dankbar, wie die verhinderten Lieferungen von waffenfähigem Material nach Syrien zeigen), und an der internationalen Zusammenarbeit der Überwachungsdienste nehmen auch die Schweizer Nachrichtendienste teil.
Schweizer Medienschaffende haben folglich ein sehr praktisches Interesse daran, dass die Diskussion über die internationale Überwachung auch in der Schweiz stattfindet. Auch über die heikle Frage, was denn an Überwachung vielleicht sogar notwendig ist und wo sie umschlägt in einen Generalverdacht gegen alle Bürgerinnen und Bürger.
Der Protest gegen die Staatsaktion im Fall Rocchi und der Protest gegen die Verfolgung von Edward Snowden und seiner Medienpartner sind nicht voneinander zu lösen. So, wie die Tendenzen in der Schweizer Politik, den Sicherheits- und Überwachungsstaat ausbauen, von Darbellay bis Maurer, nicht nur mit innenpolitischen sondern auch mit globalen Argumenten vorangetrieben werden. Die internationale Terrorgefahr dient dafür ja gerne als Rechtfertigung. Und die Medienfreiheit ist global wie lokal bedroht, immer wieder und zurzeit zunehmend.
So gilt die Forderung im Inland wie im Ausland: Regierungen und Sicherheitsapparate, die freiheitlich arbeitende Journalisten belästigen, einschüchtern, unter Druck setzen oder gar an ihrer Tätigkeit hindern, müssen selber belästigt, eingeschüchtert, unter Druck gesetzt oder schliesslich an ihrer Tätigkeit gehindert werden.
Sensibilisierung der Öffentlichkeiten
Das fängt an mit der Sensibilisierung der regionalen, nationalen, internationalen Öffentlichkeiten für die Bedrohung der Medien- und Bürgerfreiheit.
Das geht weiter mit der Stärkung der Kolleginnen und Kollegen, die «an der Front» unter besonderem Druck stehen: Für Ludovic Rocchi, Glenn Greenwald, David Miranda, die (im Hintergrund koordinierende) Filmemacherin Laura Poitras, (den «Guardian»-Chefredaktor) Alan Rusbridger und nicht wenige andere ist es wichtig zu wissen, dass nicht nur ein Brüsseler Verbands-Büro und vielleicht noch die britische und die irische Journalistenorganisation hinter ihnen stehen, sondern zahlreiche Journalistinnen und Journalisten aus zahlreichen europäischen und aussereuropäischen Ländern und sogar aus der kleinen Schweiz: impressum, Syndicom, investigativ.ch, die Fachjournalisten, die Chefredaktorenkonferenz, vielleicht sogar die Verleger – und es ist wichtig, dass die schweizerische Öffentlichkeit das weiss.
Es ist auch wichtig, dass Herr Cameron das weiss – oder der Neuenburger Justizdirektor Ribaux, wie beim Protestbrief von investigativ.ch –, eben weil gerade auch kaltschnäuzige und zynische Politiker öffentliche Proteste lästig finden, und die veröffentlichte Meinung sorgfältig registrieren.
Vorstoss aus dem Norden
Die vier Chefredaktoren aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden zeigen mit ihrem Brief an Premierminister Cameron, wie man das macht. Vier «Einzelmasken» aus vier Ländern, mit der Basis von vier wichtigen Tageszeitungen, haben sich nicht nur öffentlich mit dem «Guardian», Miranda und Snowden solidarisiert, sondern sie haben auch öffentlich und direkt bei Premier Cameron protestiert und von ihm den Schutz und die Verteidigung der Pressefreiheit angemahnt. Das setzt den Massstab und ein Beispiel, dem man auch in der Schweiz folgen könnte.
Und die Europäische Vereinigung von Journalisten EFJ zeigt, wie das geht, wenn sie in ihrem Protest gegen die Einschüchterungs-Aktionen der britischen Regierung verlangt, die Anti-Terrorgesetze, die noch vor oder nach dem 11. September 2001 eilig zusammengeschustert wurden, unter dem Blickwinkel der Medienfreiheit und der Menschenrechte sorgfältig zu überprüfen und zu überarbeiten – nicht nur im Vereinigten Königreich sondern auch in anderen Europäischen Ländern und in den USA.
Die Europäische Journalisten-Vereinigung zeigt darüber hinaus politischen Handlungswillen mit ihrem Brief an die zuständige EU-Kommissarin Vivane Reding, damit die EU-Kommission gegenüber Grossbritannien aktiv wird wegen der Verletzung der EU-Charta der Grundrechte, insbesondere der Freiheit der Meinungsäusserung und der Informationsfreiheit. Und die EFJ zeigt die erklärte Absicht, die britische Regierung weiterhin unter Druck zu setzen, indem sie eine formelle Klage wegen Verletzung der EU-Charta ankündigen.
Auf solche lästigen Behelligungen reagieren auch zynische und autoritäre Politiker empfindlich.
Bedrohungen der Pressefreiheit – weltweit
Die Pressefreiheit ist ringsum bedroht: Die Website der Europäischen Journalistenunion EFJ/IFI meldet gewalttätige Angriffe auf Journalisten in der Ukraine, Verhaftungen in Mazedonien, die Ermordung des Journalisten Akhmednabi Akmednabiyev in Russland, und die Verurteilung zahlreicher oppositioneller Journalisten zu langjährigen bis lebenslangen Haftstrafen in der Türkei, unter anderem mit der Begründung, sie hätten sich an der Vorbereitung eines Staatsstreichs beteiligt.
Und wie sich zeigt, werden die Pflichten und freiheitlichen Rechte von Journalisten auch in demokratisch verfassten Staaten wie Grossbritannien und den USA zunehmend in Frage gestellt und untergraben, nicht nur im Fall des Whistleblowers Edward Snowden und nicht nur durch die Antiterrorgesetze. Erst vor Kurzem sind die Abhörmassnahmen des US-Justizdepartements gegen ausgewählte Journalisten der «Associated Press»und von «Fox News» aufgeflogen.
Hemmungslose Überwachung
Die hemmungslose globale Ausdehnung der politischen Überwachung verlangt eine rechtsstaatlich und freiheitlich ausgerichtete Mobilisierung der politischen Kräfte, denen die freiheitliche Demokratie ein Kernanliegen ist. Und sie verlangt die Sensibilisierung und Mobilisierung der breiten Öffentlichkeit, sprich: der Bürgerinnen und Bürger in deren ureigenem Interesse.
Medienschaffende und ihre Organisationen verfügen über die Fähigkeiten und Möglichkeiten dazu. Wobei es nicht um die Vertretung besonderer Berufs- oder Standesinteressen gehen kann, sondern im Kern immer um die Sicherung und den Ausbau des freiheitlichen Rechtsstaates gehen muss.
Vereinzelung statt gemeinsames Handeln
Das Bewusstsein dafür geht offenkundig weitgehend unter in der täglichen Jagd nach Quoten, Auflage und Klicks, nach neuen Layouts und multimedialen Umstrukturierungen. Und dazwischen verabschiedet dann eine Chefredaktorenkonferenz oder eine Medienorganisation zügig einen Protest und publiziert eine Medienmitteilung, die in den grossen Medien und in der Öffentlichkeit kaum zu Kenntnis genommen wird. Häufig genug erreicht der Protest nicht einmal seine Adressaten, weil der Verteiler fehlt.
Kommt dazu, dass die einzelnen Organisationen, von der Gewerkschaft bis zu den Verlegern, von den Nachrichtenschreibern bis zu den Chefredaktoren, ganz ohne Kommunikation und Koordination ihre eigenen Wege gehen, ihre eigenen Texte propagieren und so die Chance verpassen, mit einer gemeinsamen, wirksam publizierten Erklärung geballte Wirkung zu erzielen. Man hat die moralische Pflicht getan, kann den papierenen Nachweis erbringen und der Protest verpufft.
Das wissen selbstverständlich die Regierungen und ihre «Sicherheits»-Apparate, und so spielen sie auf Zeit in der Annahme, dass mit einer neuen Krise, einem neuen Krieg, einem neuen Skandal das heikle Thema auch in kritischen Medien nach hinten rückt und schliesslich untergeht.
Kommentare aus den Regionen
Wer heute in der Schweiz Medien beobachtet, muss in die «Provinz» gehen, zu den Regionalzeitungen, um klare Kommentare zu den jüngsten Fällen der Gefährdung der Medienfreiheit zu finden. Es sind in den Deutschschweizer Zeitungen gerade mal drei Stück. Die Zentralorgane der grossen Häuser – «Tages-Anzeiger», «Neue Zürcher Zeitung» – und ihre grossen Sonntagsausgaben berichten zwar mehr oder minder ausführlich, aber ihre Chefredaktoren haben offenkundig wichtigere Themen auf der Agenda.
Der erste, der sich in einer Deutschschweizer Kommentarspalte zum Fall Rocchi und zum «NSA-Skandal» äusserte, war «Südostschweiz»-Chefredaktor David Sieber in der «Schweiz am Sonntag»: «Die praktisch lückenlose Überwachung macht nicht nur aus Bürgern Verdächtige sondern auch aus Journalisten Sicherheitsrisiken.»
Philipp Landmark, der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatt» (NZZ Mediengruppe), konstatiert in seinem Kommentar ebenfalls den Zusammenhang zwischen der Schweiz und der Welt: «Das ist nicht nur ein britisches oder amerikanisches Problem, zu unverhältnismässigen Angriffen kommt es auch in der Schweiz. Machen Hausdurchsuchungen wie jüngst beim «Le Matin»-Journalisten Ludovic Rocchi Schule, können Medien ihre für die Demokratie eminent wichtige Funktion nicht mehr wahrnehmen.»
Artur K. Vogel, Chefredaktor des «Bund» (Tamedia) zeigte erst kürzlich die Folgen dieser Entwicklung auf: «Wenn die Presse erst einmal so grundlegend eingeschüchtert ist, dass sie ihre Kontrollfunktion nicht mehr wahrnehmen kann, steht mit Garantie die Liquidation des nächsten Grundrechts an.»
Und dann nochmals David Sieber, diesmal in seinem Hausblatt «Südostschweiz»: «Wer will in einer Welt der totalen Überwachung leben? Wer mutlose, gleichgeschaltete Medien konsumieren? Niemand, der sich Demokrat nennt.» (Kommentar online nur für Abonnenten greifbar).
Das Zögern der Chefredaktoren und Verleger
Offenbar haben die Chefredaktoren in der «Provinz», in den Regionalblättern, sich ein Stück von jenem journalistischen Engagement bewahrt, das vom Business auf den Teppichetagen der grossen Verlage gründlich abgedämpft wird.
Mal ganz abgesehen von den Verlegern und ihrem Verband, auf deren Erklärung wir immer noch warten. Medienfreiheit ist nicht nur Gewerbefreiheit.
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Serie «Medienfreiheit in der Schweiz»
Teil 1: «Die Schweizer Mühsal mit der Pressefreiheit»
Teil 3: «Überwachung: Wenig Grund zur Sorge?»
Teil 4: «Medienfreiheit bei Chefredaktoren unter ‹Diverses’»
Teil 5: «Bedrohte Medienfreiheit: Verleger im Einzelkampf»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine