Gemeinsames Eigentum: ein altes Modell mit Zukunft
(Zweite Fortsetzung des Artikels Gemeinsames Eigentum: ein altes Modell mit Zukunft)
Die Berner Burger sind auf die Zukunft fokussiert
Ganz so alt wie die Innerschweizer Korporationen ist eine andere Korporation, die Berner Burgergemeinde, nicht. Sie entstand um 1830 herum und ihr Eigentum wurde durch Vertrag mit der Einwohnergemeinde der Stadt Bern im Jahr 1852 schriftlich besiegelt. Die Burgergemeinde, basierend auf den Zünften und sogenannten «Gesellschaften», definiert also ebenfalls über die ihr angehörenden Personen, konnte sich zwar etwa zwei Drittel des Stadtberner Besitztums sichern, vor allem Wald, «Felder» und «Gras-Plätze», wie es damals hiess, aber zum Beispiel auch eine eigene Bank. Sie übernahm gleichzeitig aber auch zahlreiche Aufgaben und Verpflichtungen, insbesondere im Vormundschafts- und Armenwesen. Die Einwohnergemeinde Bern auf der anderen Seite, also «die Stadt», erhielt weniger Eigentum, aber mehr Kompetenzen, insbesondere die Steuerhoheit: das alleinige Recht, von den Einwohnern Gemeindesteuern zu erheben, was denn auch bereits 1855 nötig wurde, als Bern mit der Wahl zur Schweizer Bundeshauptstadt die Verpflichtung übernahm, für die neue Landesregierung ein Bundeshaus zu bauen.
Obwohl das damals «neue» Berner Gemeindegesetz und der Ausscheidungsvertrag Burgergemeinde/Einwohnergemeinde in erstaunlich sachlicher und schneller politischer Auseinandersetzung zustandegekommen waren und 1852 von den Stimmbürgern mit überwältigendem Mehr gutgeheissen wurden, wurde der sogenannte Burgernutzen der Bernburger, die damals weniger als 20 Prozent der Einwohner ausmachten, als unzeitgemässes Privileg einer Minderheit immer wieder in Frage gestellt und heftig kritisiert. Das führte bereits im Jahr 1888 dazu, dass die Burgergemeinde beschloss, künftig keinen Bürgernutzen mehr auszuschütten. – Was blieb denn als Sinn der Burgergemeinde?
Das Baurecht als Ursprung grossen Reichtums
Was bei der Eigentumsausscheidung Mitte des 19. Jahrhunderts niemand geahnt hatte: gerade die Felder und «Gras-Plätze» rund um Bern herum wurden zur Goldgrube. Und dies nicht, weil sie teurer veräussert wurden, im Gegenteil: weil sie nicht verkauft wurden, obwohl schon 1848 manche Burger argumentierten, die Überführung in Privatbesitz würde zu wirtschaftlichem Aufschwung führen.
Die Burgergemeinde aber verkauft kein Land, auch heute nicht. Sie gibt es im Baurecht ab. Das antike römische Recht hatte den Privatbesitz des Bodens ja zum Grundprinzip des Rechts überhaupt gemacht. Das aus der alemannischen Kultur stammende, dem römischen Recht entgegengesetzte Prinzip des gemeinsamen Bodenbesitzes hatte Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem deutsch-argentinischen Wirtschaftstheoretiker Silvio Gesell (1862-1930) aber so etwas wie eine Renaissance erlebt, auch und gerade in der Schweiz. Es entstand daraus die «Freiwirtschaftliche Bewegung» und 1946 die «Liberalsozialistische Partei», die viele Jahre auch im Nationalrat – der grossen Kammer des Schweizer Bundesparlaments – vertreten war. Und 1965 wurde das Baurecht, die vertraglich festgeschriebene Abgabe von Boden zur Nutzung an bauwillige Leute, im Schweizer Zivilgesetzbuch festgeschrieben und geregelt.
Wirtschaftlicher Aufschwung auch ohne Privatisierung
Das ursprünglich alemannische und in den Korporationen weiterlebende Gedankengut des gemeinsamen Eigentums am Boden brachte auch die Korporation der Bernburger im letzten Jahrhundert zur Strategie, Land nicht zu verkaufen, sondern nur im Baurecht – gegen Bezahlung eines sogenannten Baurechtzinses – abzugeben. Der Wert des Bodens stieg indessen unaufhaltsam, und mit ihm die Baurechtszinse. Aus den ehemaligen «Gras-Plätzen» sind etliche Grossüberbauungen geworden, «Kleefeld», «Schwabgut», «Baumgarten», «Schönfeld-Ost», und wie sie alle heissen. Sie alle stehen auf dem Boden der Burgergemeinde, und diese Burgergemeinde kassiert Baurechtszinsen. Heute fliessen, bei einem Gesamtvermögen der Bernburger von rund einer Milliarde Franken, jährlich um die 30 Millionen Franken an Zinserlösen in die Kassen der Bernburger…
Und die einzelnen Burger haben nichts von diesem Nutzen? Nein. Selbst die von den 17’000 Bernburgern gewählten Mitglieder des Kleinen (regierenden) und des Grossen (beratenden und beschliessenden) Burgerrats leisten diesen Einsatz ohne jede Entschädigung. Das Ziel der Burgergemeinde ist die Unterstützung und Entwicklung gemeinnütziger und kultureller Institutionen im Dienste der (Berner) Öffentlichkeit!
Konkret: Im Jahr 2010 gingen 15 Millionen in die Wissenschaft (Burgerbibliothek, Naturhistorisches Museum, Beiträge an wissenschaftliche Forschungen), 4 Millionen in die Berner Kultur (Kulturcasino, Beiträge an kulturelle Institutionen und Veranstaltungen), 9 Millionen in soziale Projekte (Burgerspittel Bahnhofplatz, Burgerspittel Viererfeld, Jugendwohnheim, Armengut, Beiträge). Weitere «Geschenke» an die Bernerinnen und Berner erfolgen über die Zur-Verfügung-Stellung von Bauland zu niedrigem Baurechtszins oder, wenigstens zeitweise, sogar gratis. Das «Stade de Suisse», das grosse neue Berner Sportstadion mit allem Drum und Dran zum Beispiel steht auf dem Boden der Bernburger – in der Bauzeit gratis und anschliessend für fünf Jahre noch zu einem reduzierten Zins. Als Starthilfe sozusagen.
Nachhaltigkeit garantiert
Der gegenwärtige Präsident der Bernburger Korporation, Rolf Dähler, weiss, wovon er spricht: «Die Einwohnergemeinden stünden finanziell ganz anders da, hätten auch sie Land reserviert und dieses nur im Baurecht abgegeben. Vermutlich müssten die Einwohner heute wesentlich weniger Gemeindesteuern bezahlen!»
Auch die Bernburger sind eine Korporation, eine Körperschaft, deren Bürger das Bürgerrecht vererben – auch wenn sie in Zürich leben oder nach Australien ausgewandert sind. Was sie zusammenhält ist nicht der Profit aus dem gemeinsamen Eigentum, auf den sie ja seit 1888 verzichten. Was sie zusammenhält, ist das Bewusstsein, etwas für die Gemeinschaft tun zu können, und dies nicht im Sinne von PR-trächtiger «Social Responsibility», wie es die modernen Firmen tun. Das Gedankengut hat eine lange Tradition, das Ziel ist eine nachhaltige und zukunftsträchtige Entwicklung.
(Ende der dreiteiligen Serie)
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Der Artikel wurde für die deutsche Vierteljahres-Zeitschrift «Die Gazette» geschrieben und erschien in deren Ausgabe vom Dezember 2012. Zum Thema Korporationen in der Zentralschweiz erschien auch in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» vom 19. Juli 2012 ein Artikel des gleichen Autors. Teile davon wurden hier übernommen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Schönfärberei des Berner Adels
Wunderbar, wie Infosperber die Bernburger über den Klee lobt. Und dabei, aus Unwissen oder geflissentlich bleibe dahingestellt, unterschlägt, dass die Bernburger nichts anders sind als der Berner Adel, den zwar Napelon politisch abgehalftert hat. Doch nur halbwegs. Das Land, das eigentlich dem Volk gehört, durften sie behalten. Und sie verwalten es wirklich meisterlich, indem sie es heute dort als Bauland im Baurecht abgeben, wo es auch guten Zins gibt. z.B. im Schönberg Ost, wo die Begüterten in einem neuen Quartier unter sich in Villen mit Eigentumswohnungen leben. In der Gemeinde Worb hingegen, wo sie ihr Land an wenig lukrativer Lage in Rüfenacht einzonen liessen, stiegen sie wieder aus, ohne es vor dem Volk zu begründen zu wollen. Dort hätte für den das gemeine Volk verdichtet gebaut werden können. Doch Worb wollte eine Mehrwertabschöpfung von 50 %, was den Gnädigen Herrn zu Bern zu weit ging. Sie dürfen das natürlich schon meinen, aber sie könnten es dann auch so kommunizieren. Die Ironie will es, dass die SP der Stadt Bern nun den Bremgarten Wald abholzen will, damit dort bei Kehrichtverbrennungsanlage und Autobahn eine neue Wohnstadt entsteht. Derweil hat der Berner Adel im Saali und Hinteren Schosshalde noch sehr viel Bauland, das sie wohl fürs Wohl der besseren Bürger weiter horten will.