Kommentar

Gegen Nennung der Nationalität in Polizeimeldungen

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMatthias Bertschinger, Nunningen Jurist, Mitglied des Forums für Menschenrechte und Demokratie FMD ©

Matthias Bertschinger /  Wenn die Polizei und die Justiz die Herkunft von Verdächtigten und Tätern nennen, instrumentalisieren sie kulturelle Unterschiede.

Die Stimmberechtigten im Kanton Solothurn stimmen am 11. März 2012 über die Umsetzung der Volksinitiative zur «Nennung der Nationalitäten in Meldungen der Polizei und Justizbehörden» ab. Die Initianten empfehlen dem Stimmvolk, «wuchtig JA zu stimmen», denn «das Volk hat ein Recht auf Ehrlichkeit».

«Christ innerorts mit 100 km/h unterwegs»

Was spricht dafür, ein überlegtes NEIN in die Urne zu werfen? Nehmen wir an, wir hätten es nicht mit einer Initiative zur Nennung der Herkunft, sondern der Religionszugehörigkeit zu tun. «Christ innerorts mit 100 km/h unterwegs», müsste eine entsprechende Meldung dann beispielsweise lauten. Absurd käme uns das vor, denn was hat das Christsein des Täters mit seiner Raserei zu tun? Oder aber alarmierend, weil an dunkle, scheinbar überwundene Zeiten erinnernd, käme uns eine solche Meldung vor: «Jude wegen Wuchers verurteilt».

Die Sensibilität hinsichtlich des Absurden oder Alarmierenden des vorschnellen Herstellens einer solchen Verbindung zwischen Religion, Kultur oder Herkunft des Täters und seiner Tat ist uns infolge unaufhörlicher Stimmungsmache abhandengekommen, wenn es um Ausländer oder Muslime geht. Dass Armut, Bildungsgrad, Stigmatisierung und Diskriminierung im Gastland oder andere Kränkungen, fehlende soziale Kontrolle, Perspektivenlosigkeit, Integrationsschwierigkeiten oder Kriegstraumata Ursachen für Kriminalität sind, gerät aus dem Blick, wo nur von der Nationalität des Täters die Rede ist.

Politisierung der eigenen Kultur gegen die Kultur anderer

Nicht die Herkunft, sondern Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ankunft sind oft Ursache von Kriminalität. Kulturelle Prägung mag eine Rolle spielen, wie man mit solchen oder anderen Schwierigkeiten umgeht. Das macht die Herkunft aber noch nicht zur Ursache der Schwierigkeiten und daraus resultierender Kriminalität. Diese Komplexität der Zusammenhänge gerät ausser Acht, wo nur von der Herkunft eines Täters die Rede ist.

Die unaufhörliche Politisierung der eigenen Kultur gegen die Kultur anderer erweist sich als eine gefährliche, sich selbst erfüllende Prophezeiung. Indem wir die Unterschiede statt die Gemeinsamkeiten betonen, verhalten wir uns zunehmend so, als gäbe es tatsächlich unüberbrückbare Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Dadurch erzeugen wir eine Feindschaft zwischen Gruppen, die es so vorher nicht gab.

Identitätspolitik zur Konstruktion religiöser oder kultureller Differenz

Konflikte zwischen Gruppen entstehen nicht aus dem Nichts. Oft werden sie kaltblütig von Menschen evoziert, die sich von einem feindschaftlichen Umgang mit kulturellen Unterschieden und damit einhergehender Ablenkung von den handfesten Problemen einer Gesellschaft einen Vorteil versprechen. Mächtige oder solche, die es werden wollten, bedienten sich seit jeher solcher Identitätspolitik zur Konstruktion religiöser oder kultureller Differenz, und meistens hatten sie ein leichtes Spiel.

Zurzeit führt die Instrumentalisierung kultureller oder religiöser Tradition durch Fundamentalisten diesseits und jenseits der Landesgrenze erneut zu einer Naturalisierung unseres Verständnisses von Kultur: Mit der Betonung der kulturellen Unterschiede – und dazu gehört auch das scheinbar so harmlose Gerede über Heimatliebe – erscheinen diese quasi als naturgegeben. Damit wächst auch der Anschein der Unausweichlichkeit eines Kulturkampfs Huntingtonscher Art.

Eine Rahmenkultur für das friedliche Zusammenleben von Menschen

Mit Blick auf diese Politisierung kultureller Unterschiede erscheint die Rede von der Ehrlichkeit, auf welche das Volk in Bezug auf die Nennung der Nationalitäten in Meldungen der Polizei und Justizbehörden ein Anrecht habe, in einem etwas anderen Licht. Eine Rahmenkultur für das friedliche Zusammenleben von Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensweisen und Weltsichten erfordert, dass wir uns eine solche Kultur unablässig erarbeiten, indem wir unseren Sinn für das Verlogene hinter dem vorgeschobenen Ehrlichen schärfen und diesen Sinn gegen die zutiefst menschliche Neigung verteidigen, unseren Emotionen vorschnell «wuchtig» nachzugeben.


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Matthias Bertschinger, Nunningen Jurist, Mitglied des Forums für Menschenrechte und Demokratie FMD

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