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In den Ländern des südlichen Afrikas fehlt das Geld für 4 Millionen Lehrkräfte. © ora international/flickr/cc

Steuerflucht verhindert Bildung der Ärmsten

Kurt Marti /  Die Schweiz ist weiterhin ein sicheres Versteck für Fluchtgelder aus Entwicklungsländern. Dies zeigt eine brisante Studie.

Um in der Armutsbekämpfung dauerhafte Fortschritte zu erzielen, brauchen die Entwicklungsländer mehr als nur ausländische Hilfe. Laut einer Studie der Erklärung von Bern (EvB) und von Alliance Sud müssen sie auch «mehr eigene Mittel mobilisieren». Das heisst: Sie müssen die Steuerflucht aus ihren Ländern in Steueroasen im Ausland eindämmen, insbesondere in die Schweiz, welche laut Studie «weiterhin ein sicheres Versteck» für Steuerhinterzieher aus den Entwicklungsländern bleibt.

Steuerquote in den Entwicklungsländern ist viel zu tief

Die Steuerquote in den Entwicklungsländern, also die Steuereinnahmen in Prozent des Bruttoinlandprodukts, stagniert seit den 1980er Jahren. Im Durchschnitt liegt sie bei 17 %. In den ärmsten Ländern liegt sie sogar unter 15 %. Zum Vergleich: In den OECD-Staaten liegt die Steuerquote bei durchschnittlich 35 %. Aufgrund der niedrigen Steuereinnahmen fehlen in den Entwicklungsländern die finanziellen Mittel für Schulen und Spitäler. Um allen Kindern in den Ländern des südlichen Afrikas eine Grundausbildung zu garantieren, braucht es laut «African Economic Outlook 2010» vier Millionen zusätzliche Lehrkräfte.

Steuerflucht von Privatpersonen und multinationalen Konzernen

Die Studie nennt drei Gründe für die niedrigen Steuereinnahmen in den Entwicklungsländern:

1. Steuerflucht von reichen Privatpersonen in die Steueroasen
2. Aggressive Steuervermeidung multinationaler Konzerne
3. Administrative Schwächen der Steuerbehörden

Gemäss Zahlen der OECD fliessen jährlich 850 Milliarden Dollar unversteuerte Unternehmensgewinne, undeklarierte Privatvermögen und illegal erworbene Gelder aus den Entwicklungsländern in die ausländischen Steueroasen. Weit höher liegen die Schätzungen des Forschungsinstituts «Global Financial Integrity», nämlich bei 1300 Milliarden Dollar im Jahr 2008. Die dadurch entgangenen Steuereinnahmen schätzen die Entwicklungsorganisationen auf jährlich 284 Milliarden Dollar; davon sind 124 Milliarden durch die Steuerflucht reicher Privatpersonen bedingt und 160 Milliarden durch die aggressive Steuervermeidung multinationaler Konzerne. Zum Vergleich: Die OECD-Länder zahlen insgesamt 125 Milliarden Dollar für die Entwicklungszusammenarbeit.

Weitere 285 Milliarden Dollar mögliche Steuereinnahmen entgehen den Entwicklungsländern, weil ihnen eine effiziente Verwaltung zur Eintreibung der Steuern fehlt.

490 Milliarden Fluchtgelder aus Entwicklungsländern fliessen in die Schweiz

Zur Bekämpfung der Steuerflucht braucht es laut der Studie «Gegenmassnahmen in denjenigen Ländern, die ausländischen Steuerhinterziehern Geheimhaltung bieten und Unternehmen, die vor allem im Ausland tätig sind, besondere Steuerregime». Gefordert ist also auch die Schweiz, welche laut Angaben des Staatsekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) mit einem Marktanteil von 27 % der wichtigste Finanzplatz für die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung ist. Im Jahr 2011 wurden in der Schweiz gemäss Zahlen der Beratungsfirma «Boston Consulting Group» ausländische Vermögen in der Höhe von 2’100 Milliarden Dollar verwaltet.

Davon stammen rund 980 Milliarden Dollar aus Asien, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Afrika. Davon sind laut der Studie mindestens 490 Milliarden Dollar Steuerfluchtgelder. Allein auf den Erträgen dieser Fluchtgelder verlieren die Entwicklungs- und Schwellenländer laut Studie mindestens 7,35 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen. Das ist mehr als das Doppelte der Schweizer Entwicklungshilfe (2011: 3,114 Milliarden Dollar). Wenn man die Vermögenssteuern und die bei der Entstehung dieser Vermögen hinterzogenen Einkommenssteuern hinzurechnet, wäre der Verlust noch wesentlich grösser.

Die Schweiz betreibt einen «Kuhhandel mit Quellensteuern»

Laut Studie leistete die Schweiz «Beihilfe zur Steuerhinterziehung», weil sie den Herkunftsländern systematisch alle Informationen für die korrekte Besteuerung ihrer BürgerInnen vorenthält. Faktisch verfolge die Schweiz einen Doppelstandard zwischen den OECD-Ländern und der grossen Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer: Weissgeld aus den OECD-Ländern und weiterhin Schwarzgeld vom Rest der Welt. Statt einer Weissgeld- drohe eine Zebra-Strategie.

Die Schweiz hat mit 43 von insgesamt 140 Entwicklungsländern ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen, wovon nur 5 OECD-konform sind. Die Studie weist auf die gravierenden Nachteile der DBA für die ärmsten Entwicklungsländern hin: Erstens brauche es dazu langwierige und harte Verhandlungen, wofür diesen Ländern das Personal und die Mittel fehlen. Zweitens seien die DBA ein «Kuhhandel mit den Quellensteuern». Die Amtshilfe bei Steuerhinterziehung werde nur gewährt, wenn die betroffenen Entwicklungsländer die Quellensteuern für Schweizer Konzerne senken. Dadurch gehen den Entwicklungsländern wichtige Steuereinnahmen verloren.

Auf dem Weg zum automatischen Informationsaustausch

Laut Studie der EvB und von «Alliance Sud» muss die Schweiz den Entwicklungs- und Schwellenländern den automatischen Informationsaustausch gewähren. Bis es soweit ist, sollte die Schweiz sogenannte einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA: Tax Information Exchange Agreements) abschliessen. Dabei handelt es sich um vergleichsweise einfache bilaterale Verträge, die im Gegensatz zu den Doppelbesteuerungsabkommen ausschliesslich den Informationsaustausch in Steuerfragen regeln, ohne den Kuhhandel mit den Quellensteuern für Schweizer Firmen in den Entwicklungsländern.

Die Schweiz hat sich laut Studie lange Zeit geweigert, auf Verhandlungen über TIEA einzusteigen. Inzwischen habe sich jedoch die offizielle Schweizer Haltung gegenüber TIEA etwas geändert. Im April 2012 habe der Bundesrat Bereitschaft signalisiert, die erweiterte Amtshilfe mit ärmeren Ländern zukünftig auch über solche einfachen Abkommen statt nur über komplexe DBA zu vereinbaren. Damit sei eine wichtige Barriere auf dem Weg zur Steuertransparenz im Prinzip endlich abgeschafft. Problematisch am neuen bundesrätlichen Vorgehen sei jedoch, «dass weiterhin nur ein Teil aller Entwicklungsländer in den Genuss einfacher TIEA gelangen soll. Gemeint sind diejenigen Länder, die für Schweizer Konzerne uninteressant sind und mit denen darum keine bisherigen Doppelbesteuerungsabkommen bestehen.»

Steuervermeidung multinationaler Konzerne

In der Schweiz bieten die Kantone den internationalen Konzernen besonders günstige Steuern an. Dank den sehr niedrigen effektiven Steuersätzen von 1,5 bis maximal 10 % (vgl. z.B. USA: 35 %) lohnt es sich laut Studie für ausländische Unternehmen, so viel Gewinn wie möglich in den Schweizer Gesellschaften anfallen zu lassen. Deshalb haben seit 2003 über 300 Firmen ihr Hauptquartier in die Schweiz verlegt. Auf Kosten auch der Entwicklungsländer. Als Beispiel nennt die Studie die sambische Tochterfirma Mopani des Zuger Rohstoffkonzerns Glencore, welche von 2000 bis 2008 trotz rekordhohen Kupferpreisen immer nur Verluste ausgewiesen und deshalb in Sambia nie Gewinnsteuern bezahlt habe. Externe Auditoren fanden eine ganze Reihe von Unregelmässigkeiten, darunter grundlos aufgeblasene Betriebskosten. Auch hier steht die Schweiz laut Studie in der Verantwortung und muss handeln. Der Druck aus den EU-Ländern ist bereits gross.

CVP/EVP/GLP-Fraktion für «neue Hintertürchen für Steuerflüchtige»

Im Interesse der internationalen Gerechtigkeit sind also gleich lange Spiesse für die Entwicklungsländer gefordert. Umso mehr erstaunt es, dass die Fraktion der CVP/EVP/GLP eine Motion «Bankgeheimnis: Gleich lange Spiesse» einreichte und damit gleich lange Spiesse für den Finanzplatz Schweiz verlangt. Die Motion wurde vom Parlament kurz vor den Neuwahlen 2011 angenommen und an den Bundesrat überwiesen. Der Bundesrat muss nun Gesetzesvorschläge ausarbeiten, wie die Schweiz in Sachen anonyme Trusts und undurchsichtige Firmenkonstrukte mit den USA und Grossbritannien gleichziehen könnte. Statt kurzsichtig «neue Hintertürchen für Steuerflüchtige» und «Steuerhinterziehungskonstrukte» zu schaffen, sollte die Schweiz laut Studie rasch für umfassende Steuertransparenz auch gegenüber Entwicklungsländern sorgen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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